Selten das Gefühl im Kino: Ich verstehe überhaupt nicht, wie ich das dort vorne einordnen soll. Wie kann das Denken ankommen bei einem Gedanken, wenn sich permanent neue Fragen dazwischen schieben und soeben Gedachtes wieder verworfen wird? Und dass dieses fortwährende Neudenken- und Begreifenwollen einen nicht begeistert, sondern nur Zeichen ist einer allgemeinen Genervtheit, dem Film, den man da sieht, etwas Gutes abgewinnen zu wollen. Zu wollen!
Direkt und gleich am ersten Tag der Viennale passiert, was nie passiert: Dass man sich einem Film innerlich zutiefst zur Wehr setzt und dennoch bereitwillig dem folgen möchte, was da vorne passiert. Brillante Mendozas Sinapupunan (Thy Womb) wurde zum Präzendenzfall. Die Geschichte handelt von einem armen Ehepaar, das im Süden der Philippinen auf einer vornehmlich von Moslems bewohnten Inselgruppe lebt und sich – trotz fortgeschrittenem Alter und offensichtlichem Kinderreichtum der Region – nichts mehr wünscht als ein Kind.
I. Das alte Ehepaar: Sie ist Hebamme, er assistiert (wenn sie keine Matten flechten)
Da es an der Frau liegt, dass es „nicht klappt“, beschließen beide, dass der Mann eine zweite – jüngere – Frau ehelicht, um den Kinderwunsch zu erfüllen (das geht bei den Moslems so). Viel Geld muss gesammelt werden, um die Zweitfrau, die gar nicht so leicht zu finden ist, von ihrer Herkunftsfamilie freizukaufen. Ihre Bedingung: Wenn das Kind da ist, muss die erste Ehefrau gehen. In der entsprechenden Szene dann tief erschütterte Blicke über die Tragik, mit der es das Schicksal mit dem alten Ehepaar meint.
II. Die junge, clevere Zweitehefrau in spe
Der Gang der Handlung ist absehbar und hält einen winzig kleinen offenen Horizont bereit, der allerdings durch die sorgfältige dramaturgische Vorbereitung mehr als Behauptung Mendozas verstanden werden muss als tatsächlich gemeint. Während des Films Fragen über Fragen, eurozentristischer Natur, widersprüchlich, selbstoffenbarend und allesamt nicht bei einer Antwort ankommend: Wieso verschuldet sich ein in Armut lebendes Ehepaar, dem es bereits an allem fehlt, über Maßen, um sich einen Kinderwunsch zu erfüllen (ein Kind scheint gerade nicht zu fehlen)? Ist dieser Kinderwunsch als egoistisch zu bewerten, oder ist dies eine westliche Wohlstandsperspektive (auf Selbsterfüllung)? Haben Menschen in Armut nicht das Recht auf Selbsterfüllung (zuerst gelte es, die Existenz zu sichern)? Welche Familie der Welt (und sei sie noch so sehr „Schwellenwelt“) übergibt ihre junge, hübsche und gut ausgebildete Tochter gegen einen Haufen Gold und mehrere Bündel Geldscheine an einen, mit Verlaub, armen, alten Sack? Warum sollen wir Zuschauer mitleiden mit dem gealtertem Ehepaar, dessen Prokurationszeit abgelaufen ist, wenn es sich ein junges Ding quasi als Leihmutter nehmen will? Und wenn diese dann eine Forderung in den Raum stellt, die erstens ihren scharfen Verstand unter Beweis stellt, zweitens die Zweitehe als egoistisches Manöver entlarvt?
Widerstände tun sich auf gegen die Geschichte und gegen den Film. Militär bedroht die Einwohner, Mendoza versucht nach dem Film im Q&A – ohne überzeugen zu können – mit dem Eindruck auszuräumen, es würde hier auch um den Konflikt Christen (90%) gegen Moslems (10%, auf dem Archipel aber in der Mehrheit) gehen: „Das Militär beschützt die Bewohner“, es gehe ihm nicht um den Konflikt Christen gegen Moslems. Sagt er, während Abgesandte der Philippinischen Botschaft im Publikum sitzen. Immerhin heißt der Film „Thy Womb“, mit der christlichen Wendung, will man Gott ansprechen. Und auch die Bildern erzählen anderes, ohne dass man es gleichwohl verstanden hätte.
Dokumentarisch sei der Film, so ist überall nachzulesen. Das Denken läuft ins Ungewisse bei dem Versuch, es zu glauben. Zu bunt, zu prachtvoll sind die gezeigten „Bräuche“ der armen Inselbewohner. Hier haben Kamerafahrten, Ausstatter und Beleuchter kräftig nachgeholfen. Bunt, bunt, bunt sind alle ihre Kleider.
III. Die Ankunft der prächtigen Hochzeitsgesellschaft
Vielleicht aber kann nur ich nicht verstehen, woher all diese prachtvollen Gewänder kommen, und wieso sich die Feier einer Hochzeit wie die Werbeveranstaltung des örtlichen Touristik-Unternehmen anfühlt (im Abspann gibt es einen Hinweis auf eine touristische Beteiligung, was aber dennoch nichts heißen mag). Auch die Kamera-Kranfahrt über die Dächer der armseligen Hütten ist schweres und störendes Geschütz, will man die Echtheit der Story untermauern. (Mendoza sagt überflüssigerweise im Q&A, dass sein Film auf einer wahren Geschichte beruht. Das glauben wir ihm sofort: Eine wahre Geschichte? Viele wahre Geschichten! – Oder etwa nicht?)
Was bleibt? Ein Regisseur, der nach dem Film seltsam dünne Antworten gibt. Ein Film, der Folklore-Kitsch-verdächtig ist. Eine Geschichte, die ärgert, weil man nicht mitgehen will. Daran kann auch der Hinweis auf die Darsteller der Alten nichts mehr ändern, beide Stars des ruhmvollen philippinischen Kinos (Nora Aunor gilt als „Superstar in Philippine Entertainment Industry“, Bembol Roco kennt man aus Lino Brockas MANILA AT THE CLAW OF BRIGHTNESS, von 1975). Mendoza, das hat man schon in seinen früheren Filmen gefühlt, sieht sich als direkten Erben von Lino Brocka. Das Sozialkritische und Melodramatische seiner Filme stehen in Tradition mit dem Monument der philippinischen Kinogeschichte. Vielleicht aber verlangt die Gegenwart nach anderen Geschichten, auch wenn diese hier noch so echt sein mag. Und schon wieder führt ein Gedanke in den Raum ohne Antwort.