Kurz vor Schluss noch einmal Filme, die thematisch Familie, Freundschaft und Mitgefühl, als zentralen Antrieb ihrer Figuren haben. Ein gutes, spannendes Drehbuch hat „Roxanne“ von Valentin Hotea. Aus Neugierde beantragt Tavi Einsicht in seine Securitate Akten, und entdeckt dabei nicht nur, dass er, anscheinend aus seinem engsten Kreis, bespitzelt wurde, sondern auch, dass er vermutlich Vater eines 20 jährigen Sohns ist. Sohn seiner Ex-Freundin und jetzt Ehefrau seines besten Freundes. Aus dieser Grundkonstellation ergeben sich ein Reihe interessanter Fragen über Loyalität, Freundschaft, aber auch Elternschaft; leider besteht die Umsetzung im Wesentlichen aus Dialogen in unoriginellen Schnitt- Gegenschnitt Sequenzen , sauber gemacht, aber visuell völlig uninspiriert. Die Geschichte hätte mehr verdient. „The special need“ von Carlo Zoratti, Koproduziert vom ZDF das kleine Fernsehspiel, hat visuell deutlich mehr Witz und Originalität, auch wenn viele Szenen den hässlichen Gelbstich einer falsch eingestellten Kamera haben. Ein Roadmovie, das eine Gruppe von Freunden, unter ihnen der Regisseur selbst,losziehen lässt auf der Suchen nach einer Frau, die mit ihrem autistischen Kumpel ins Bett gehen will. Nach erfolglosen Versuchen mit Huren in Udine fährt die Gruppe erst nach Graz in ein Bordell und schließlich nach Norddeutschland in ein psychologisch betreutes „Bordell“ für Menschen mit speziellen Bedürfnissen. Zum Sex kommt es allerdings auch dort nicht, weil eigentlich sucht Enea eine Freundin fürs Leben, und keinen schnellen Sex. Ein warmherziger, witziger Film.
Der letzte Ehrenleopard wurde an Werner Herzog vergeben, der mit zwei seiner Kameramänner auf die Bühne kam, und diesen Leoparden explizit allen seinen Kammerleuten widmet, ohne die seine Filme nie möglich gewesen wären. Dass Werner Herzog immer noch ein Publikum anzieht konnte man an der langen Schlange Wartender sehen, die gekommen waren nach Mitternacht „Fitzcarraldo“ auf der Piazza anzusehen.
Im Wesentlichen preiswürdig
An den Entscheidungen von Carlo Chatrians Jurys ist nicht viel auszusetzen, ihre Begrünungen sind filmisch fundiert, auch da, wo sie nicht jedermanns Geschmack treffen, wie zum Beispiel beim Goldnen Leoparden der Reihe „Cineasti del presente“ wo sie sich für „Manakamana“ entschieden.
Der goldene Leopard für Albert Serra „Historia de meva mort“ ist gleichermassen mutig wie berechtigt, der Film ist weder einfach noch „mainstream“, sondern intellektuell fordern, märchenhaft und optisch sowohl fordernd als auch in seiner barocken Üppigkeit aussergewöhnlich. Wie zu erwarten war wählte das Publikum der Piazza Grande „Gabrielle“ zum besten Film.
Bei den Leoparden von Morgen ist die Entscheidung für den Goldenen Pardino sowohl national,“‚A iucata“ (Die Wette), als auch international „La strada di Rafael“, nicht ganz nachvollziehbar, wohingegen die jeweils silbernen Pardinos für: „Zima“ (Winter) und „Vigia“ (Biene) mehr als verdient sind.
Alle weiteren Preise sind auf der Homepage des Festivals nachzulesen: http://www.pardolive.ch/
In seinem ersten Jahr hat Carlo Chatrian mit seiner Ausstrahlung nicht nur sehr schnell die Zuschauer für sich eingenommen, er hat mit seiner Auswahl auch eine persönliche und schöne Note gesetzt und eine rundum gute Stimmung verbreitet. Eloquent und vielsprachig hat er, gemeinsam mit Sandra Sain, den Präsentationen auf der Piazza Grande wieder Spass und Leichtigkeit zurückgebracht.
Wenn er in dieser Art weitermacht, wünscht man ihm und allen Besuchern und Filmschaffenden viele weitere Jahre als künstlerischer Direktor von Locarno.