Tag_2 Wolkenloses Vergnügen
Ungetrübte Urlaubsstimmung am Lago Maggiore, und mit „Keeper“ von Guillaume Senez ein Film am Morgen, mit dem man den Tag gerne beginnt. Die Liebesgeschichte der beiden 15 Jährigen wird kompliziert und auch auf die Probe gestellt, als Mélanie schwanger wird. Kind behalten, Kind abtreiben? Ein, verständliches, Schwanken bewegt die beiden Figuren, mal will er, aber sie nicht, dann wieder andersherum, die Gefühle fahren Achterbahn. Entgegen dem was man erwarten würde, erzählt der Film eher aus der Perspektive des Jungen, allerdings etwas unentschlossen, es fehlen tiefere Momente in seinem Entscheidungsfindungsprozess, so wirkt manche Wende unvermittelt; als Studie zum Problem früher Elternschaft und dem Umgang mit plötzlicher Verantwortung funktioniert der Film wunderbar, nicht zuletzt wegen seiner fabelhaften jungen Darsteller, und sicher auch, weil er sich ein kitschiges Happy-End spart.
Das erste schweizerische Programm der Pardi di domani beginnt fulminant, mit einem märchenhaften Animationsfilm „D’ombre et d’ailes“ von Eleonora Marioni und Elice Meng, eine schöne, ein wenig melancholische Hommage an die persönliche Freiheit, an die Eigenverantwortung, an eine Welt, in der nicht alle gleichgeschaltet werden. Formal wie inhaltlich experimentell: “Ein Ort wie dieser“ von Philip Meyer. Eine radikale Bildführung, rabiate, pointierte Schnitte, eine spannende Tondramaturgie, eine Nachschau: Was wurde aus einem Gefängnis in Luzern, in dem in den 60ger Jahren auch Wehrdienstverweigerer eingesperrt wurden? Basis für den Rückblick ist die Autobiographie eines ehemaligen Insassen, kontrapunktisch unterlegt mit Bildern des heute als Künstlerhaus fungierenden Gebäudes; 8 Minuten Hochspannung! Welt-politisch aber nicht didaktisch: „Just another day in Egypt“ von Corina Schwinghuber Illič und Nikola Illič. Ein Tag in Kairo, Menschen gehen ihren diversen Beschäftigungen nach, beiläufige Interviews zur Lage in Ägypten nach dem letzten Wahlen, Alltag konzentriert in 11 Minuten. Nur der Text im Abspann verweist auf die noch lange nicht beendeten Demokratisierung des Landes, unaufdringlich und sehr wahr.
„The waiting room“ von Igor Drjača erzählt von einem Schauspieler und Komiker, der während des Bosnienkrieges nach Kanada geflüchtet ist. 20 Jahre lebt er dort, hat eine Familie gegründet, und doch bestimmt Entwurzelung, Schuldgefühle und Heimweh sein leben. Der Film erzählt in Bögen, von denen nicht auf Anhieb klar ist, wie sie zeitlich zusammen hängen, oder was Realität und was Wunsch ist. Die Stränge überschneiden sich, Szenen scheinen sich zu wiederholen, und erst gegen Ende meint man Wahr von Unwahr unterscheiden zu können, und ist, genau wie der Protagonist, einer Lösung nicht wirklich näher gekommen.
Eine Piazza voller Helden: ein Ehrenleopard für den kräftig bejubelten Andi Garcia, gefolgt von „Der Staat gegen Fritz Bauer“ von Lars Kraume. So spannend, gut gemacht und toll gespielt kann deutsche Nachkriegsgeschichte sein. Erzählt wird die Geschichte des Generalstaatsanwalts, Fritz Bauer, der Ende der 50ger, Anfang der 60ger Jahre, mutig und ziemlich allein dafür gekämpft hat, untergetauchte Nazis vor Gerichte zu bringen. Unter anderem indem er dem israelischen Mossad Hinweise auf den Aufenthaltsort Eichmanns gegeben hat. Etwas wofür er wegen Landesverrats hätte eingesperrt werden können. Ein unscheinbarere Held, der letztlich eine ganze Menge hat bewegen können. Und gegen Mitternacht dann noch „Southpaw“ von Antoine Fuqua, eine klassisches Boxer-Drama, vom tiefen Fall und vom wieder Aufstehen. Keine grossen Überraschungen im Ablauf der Geschichte, aber sehr solide Arbeit, packende Kampfsequenzen mit der genreüblichen Portion Sozial-und Familien Kitsch. Nach soviel Heldenhaftem kann man entspannt schlafen gehen, und von Helden träumen, oder vielleicht mal von Heldinnen?