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Überzeugend, souverän, freundlich und sehr politisch, so haben Peter Schernhuber und Sebastian Hödlinger, das neue Intendanten-Duo, die Diagonale eröffnet. Zentrales Anliegen in ihrer abwechselnd vorgetragenen Rede waren daher nicht die ständigen Kämpfe der Kultur gegen das finanzielle Präkariat, sondern ein Europa, das droht in sich zusammenzufallen, Grenzen, die gezogen, statt geöffnet werden, und die zunehmend nationalen Strömungen. Solche Themen anlässlich eines nationalen Filmfestivals glaubhaft zu vermitteln erfordert Routine, Stärke und eine Portion Mut, die beiden neuen Intendanten weiterhin als „zu jung“ für ihre Aufgabe zu bezeichnen, ist schlichtweg albern. Dass so eine Eröffnungsrede dann vom Publikum auch noch mit mehrfachen Applausunterbrechungen bedacht wird, ist ein Glücksfall.
Der ebenfalls anwesende österreichische Bundespräsident, Heinz Fischer, ein eher ungewohnter Gast bei der Diagonale, nutzte seinerseits seine kurze, freundliche Rede, um seine Vorfreude auf den Premierenfilm, „Maikäfer, flieg“ nach dem Buch von Christien Nöstlinger, auszudrücken, und die wunderbare Erni Mangold, die mit dem grossen Schauspielpreis geehrt wurde, anzukündigen. Diese bedankte sich fröhlich-frech, nicht ohne darauf hinzu weisen, dass Preise zwar wunderbar fürs Ego seien, aber keinen einzigen Filmschaffenden ernähren können. Da war er dann also doch noch, der Aufruf, die Filmbranche nicht im sozialen und finanziellen Regen stehen zu lassen.
Im Vorfeld der Diagonale schon schwer beworben: die Uraufführung von „Maikäfer, flieg“ von Mirjam Unger. Besonderen Wert wurde immer wieder darauf gelegt zu betonen, es handele sich um ein Frauenteam. Das muss allerdings etwas relativiert werden, insgesamt ist es ein 50:50 Team, aber es stimmt, dass es nach wie vor eher die Ausnahme ist, wenn ein Film eine Regisseurin, eine Kamerafrau, eine Cutterin und eine Produzentin hat; weiter so ohne sich dabei zu sehr auf die Schultern klopfen zu lassen. Mit „Maikäfer, flieg“ zu eröffnen war vermutlich eine logische Wahl, wirklich überzeugend ist der Film trotzdem nicht; zu bieder inszeniert, zu brav, und nach dem ersten Drittel mit deutlichen Längen. Die Spielfreude und das Talent der 10 jährigen Hauptdarstellerin, Zita Gaier, rettet allerdings eindeutig den Film.
Eine entspannte und fröhliche Feier mit Musik, Couscous, Wein und Bier rundete den Abend ab.
Graz trägt feine rote Streifen_Tag_1

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Das neue Diagonale Design leuchtet mit feinen rot-weissen Streifen gegen den eher grauen Grazer Himmel an, hübsch sieht das aus.
Der erster Film „Those shocking shaking days“ von Selma Doborac verlangt viel vom Zuschauer, belohnt aber am Ende mit einem intensiven, intelligenten Kinoerlebnis. Auf statischen Bildern von zerstörten Häusern in Bosnien sind Titel eingeblendet, viele Titel, ein langer konjunktivischer Fragen-Essay, direkt an den Zuschauer gerichtet, ihn ansprechend, im Stil einer wissenschaftlichen Arbeit. Es geht um Entscheidungen, die man treffen könnte, um Taten die man begehen könnte, aber mehr noch um die Semantik der Erinnerung, der Berichterstattung, des Kriegs. Wer sich auf diese langen Texte nicht einlässt ist schon am Anfang verloren. Später folgen gesprochene Texte auf schwarz, und alte VHS Aufnahmen von Kriegshandlungen; sorgfältig die Gräuelbilder, die man kennt, auslassend, und immer weiter Fragen stellend, nicht wertend, eher analytisch, akribisch, neugierig und: ratlos. Und auch wenn es um den Bosnienkrieg geht, ist die Gültigkeit der Fragen und der Ratlosigkeit universell.
Mit diesen Fragen im Kopf geht es in den ersten Spielfilm des Tages, „Im Spinnwebhaus“ von Mara Eibl-Eibesfeldt. Ein Horror-Märchen in tollen schwarz-weiss Bildern (Kamera Jürgen Jürges), erzählt aus der Sicht von drei Kindern. Die Geschwister, Kinder einer überlasteten, alleinerziehenden Mutter, sind von heute auf morgen sich selbst überlassen; der 12jährige Jonas versucht sich um alles zu kümmern, und auch das Versprechen niemandem zu sagen, dass die Mutter weg ist, einzuhalten. Was am Anfang noch ein anarchisch-fröhliches Wochenende für die Kinder bedeutet, wird zusehends zum Albtraum. Das Haus verdreckt, Spinnweben verteilen sich und Jonas‘ Versuche alles zusammenzuhalten kosten immer mehr Kraft. Ein mysteriöser, kettenbehängter Punk fungiert als dunkle, liebevolle Fee, bleibt aber bei aller Hilfe ephemer und undurchsichtig. Die Kinder driften immer weiter in ihre ganz eigenen Welt, und nehmen den Film mit, die Realität verschiebt sich, verschwimmt, und lässt am Schluss mehrere Deutungen zu.
Einen harter Kontrast dazu bietet „Jedes Jahr nie wieder“ von Paul Buchinger und David Pichler, der Dokumentarfilm befasst sich mit dem sogenannten Akademikerball, früher Burschenschafterball genannt, der jedes Jahr in Wien in der Hofburg statt findet, und jedes Jahr unausweichlich zu Demonstrationen führt. An sich erzählt der Film also nichts Neues, die Demos, die Gegenreaktion der Polizei, der Politik, der rechtskonservativen Parteien, all das ist – leider – hinreichend bekannt. Interessant ist der Film trotzdem, weil er nicht nur die Fakten aufzeigt, sondern dabei auch den Versuch, den Film überhaupt zu machen thematisiert, und das hat dann zum Teil absurde Züge.
Der neue Film von Peter Brunner „Jeder der fällt hat Flügel“ ist einerseits eine schöne, warmherzige Verbeugung vor geliebten Grossmüttern, und eine Aufarbeitung der Lücke, die deren Tod erzeugt, andererseits ein skurril, versponnener Film, der schafft mit einer gigantischen Menge an Metaphern abstrakt zu werden. Insgesamt vielleicht zu sehr in die eigene Skurrilität vernarrt, aber durchaus sehenswert.
Zum Abschluss noch ein Kurzspielfilm Programm in dem Schein und Sein verschwimmen und verschoben werden. „Las Meninas“ von Danile Béres tut das auf ironisch, vergnügliche Weise, in dem er einen Fussballschiedsrichter, der bei einem Länderspiel, möglicherweise, eine Fehlentscheidung getroffen hat, durch den Madrider Prado laufen lässt, verfolgt von seinem schlechten Gewissen. Plötzlich wird er Teil des Velasquez Bild „Las Meninas“, die im Bild angelegte Verwirrung der Perspektiven bekommt eine weiter Verschiebung hinzu, der Schiedsrichter wird Bestandteil des Bildes, die Figuren wenden sich ihm zu, lösen damit einerseits seinen Konflikt, und erzählen auf der anderen Seite sehr viel über diese wunderbare Kunstwerk. „Wald des Echos“ von Maria Luz Olivares Capelle, lässt Menschen in einem Wald und an einem See verschwinden und auftauchen, Ertrunkene erwachen zum Leben, während vermeintlich Lebende ertrinken. Ein ständiger Wechsel, der es unmöglich macht eine Realität festzumachen. Das ist spannend, irritierend und ein bisschen unheimlich.
Mit solchen Bildern kann man dann in Ruhe den ersten Festivaltag beenden.