Das Lob der guten Lüge

Venedig_2016_02: Neue Filme von François Ozon und von Paolo Sorrentino auf der Mostra

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Ein Opfergang. Deutschland kurz nach dem Ersten Welt-Krieg. Ein Mann kommt auf den Friedhof, wo auch viele der Soldaten liegen, die in den Massenschlachten der Jahre zuvor getötet wurden. Der Mann besucht ein bestimmtes Grab, und die Witwe des Toten spricht den ihr Unbekannten an, und lädt ihn zum Abendessen ein, in jenes Haus, in dem sie bei den Eltern ihres gefallenen Verlobten lebt. „Frantz“, der Titel bezeichnet jenen Toten, um den hier alles kreist: Das Reden, das Denken, das Fühlen, und wie sich herausstellt, sogar das Handeln der Lebenden.

Der Unbekannte entpuppt sich als Franzose, er erzählt, dass er Frantz vor dem Krieg bei seinem Parisaufenthalt kennenlernte, und berichtet von einem gemeinsamen Besuch im Louvre: „Wir standen lange vor Manets Gemälden. Ich erinnere mich: Er mochte eines besonders. Das Bild eines jungen blassen Mannes, mit dem Kopf nach hinten.“

So erzählt dieser Film zunächst einmal davon, dass es enge französisch-deutsche Beziehungen lange vor Adenauer und De Gaulle, lange vor dem Ersten Weltkrieg gab, jenseits der bekannten Propaganda von der Erbfeindschaft. Da war nicht nur Heinrich Heine und später Heinrich Mann. „Frantz“ erzählt aber auch vom überraschend bösen Franzosenhaß in breiten Kreisen Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hier, in diesem Film, geht es allerdings um das Verbindende, um Annäherungen.

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Ausgerechnet in unseren Zeiten, in denen die französisch-deutsche Freundschaft und das Europa, das aus ihr erwuchs, manch‘ harter Probe ausgesetzt ist – und die härtesten dieser Proben dürften uns erst noch bevorstehen – ausgerechnet jetzt hat François Ozon, einer der wichtigsten französischen Filmemacher, einen Film in Deutschland gedreht, der auch ein Film über Deutschland ist.

Zugleich ist dies auch eine universale Parabel, ein Film über die Trauer und unseren Umgang damit, ein Emotionsthriller, der auf ein paar Anleihen an Hitchcocks Suspensekino nicht verzichtet und der zugleich ein loses Remake eines frühen Films des großen Ernst Lubitsch ist: „Broken Lullaby“.

Vor allem aber ist „Frantz“ eine Geschichte der Täuschungen. Denn was man früh ahnt, wird irgendwann Gewissheit: Er hat nicht in allem die Wahrheit erzählt. Aber er ist damit nicht der Einzige. Und so ist „Frantz“ ein Lob der Lüge, der guten, gütigen Lüge, der Lüge, die tröstet, ein Lob der Lüge, die weiterleben lässt.

Und ein Glanzlicht im bisherigen Wettbewerb um den Goldenen Löwen – mit einem herausragenden Auftritt der deutschen Darstellerin Paula Beer.

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British actor Jude Law performs as the fictional Pope Pio XIII on the set of the new television series "The Young Pope", directed by Italian director Paolo Sorrentino, in Rome, Italy

British actor Jude Law performs as the fictional Pope Pio XIII on the set of the new television series „The Young Pope“, directed by Italian director Paolo Sorrentino, in Rome, Italy August 7, 2015. REUTERS/Yara Nardi

„Ciao Rome, ciao world – what have we forgotten? We must be in harmony with god. We have forgotten to masturbate. We have forgotten to be happy. We have forgotten yooouuuuuuu!“ Ein junger Papst, der redet wie ein Sektenführer. Ein Fantatiker. ein Populist. Ein Diktator.

Dieser gefährliche Mann ist die Hauptfigur im neuen Film von Paolo Sorrentino: „The Young Pope“ ist tatsächlich der eigenständig funktionierende Pilotfilm zu einer HBO-Fernsehserie. Sorrentino hat viele Stars gewonnen: Jude Law als Papst, Diane Keaton, Ludovine „Stimmt-die-gibts-ja-auch-noch“ Sagnier und viele andere in Sorrentinos bestem Film seit Jahren. Einer scharfen, provokativen Betrachtung der Kirche und des Verhältnisses von Macht und Recht.

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Wie von Sorrentino gewohnt, ist dieser Film Zynismus in Reinkultur, und weil Sorrentino so geschmacklos ist, wie narzisstisch, wir er dem Gegenstand Katholische Kirche nicht gerecht. Er nimmt sie einfach nicht ernst genug, sondern gefällt sich in billigen Witzen: Kardinal mit Spritze im Hintern, kettenrauchender Kardinal mit Sauerstoffmaske, Sex einer Nonne mit einem Schweizer Gardisten, Fußball spielende Nonnen, Priester mit schwarzem iPad, Priester, die beim Beten vom Rasensprengautomaten überrascht werden. Schenkelklopfwitze, als Melancholie getarnt, wie bei „La Grande Bellezza“.

Eigentlich – und das ist immerhin ehrlich – hat er hier einen Film über sich selbst gemacht: „Ciao Rome, ciao world“ – das ist Sorrentino in Reinform.

Rüdiger Suchsland