Nathalie Portman, Stephane Brizé, Terrence Malick und andere im Schnelldurchlauf

Venedig_2016_06: Die prachtvollen Tage vom Lido und der schönste Kinomonat des Jahres – eine Zwischenbilanz der Mostra die Cinema

„Das Wirkliche ist vernünftig.“

(G.W.F. Hegel: „Grundlinien der Philosophie des Rechts“)

Damit Sie, liebe Leser dieses Blogs, nicht glauben, wir seien untätig, hier ein kleiner Überblick, eine Art Update der letzten Tage.

Zunächst einmal in eigener Sache: Auf der Website von artechock kann man mein Venedig-Tagebuch lesen. Dort befinden sich auch (in den Folgen 2-4) einige Texte dieses Blogs, zum Teil aber in abgeänderten und längeren Versionen. Die anderen Folgen sind dagegen exklusiv, dort habe ich auch schon über „Jackie“ geschrieben, die One-Woman-Show von Nathalie Portman, als Kennedy-Witwe. Zu dem Film gibt es in den nächsten Tagen auch noch mehr zu sagen. Wer also alles aus Venedig lesen will, kann sich auf das Magazin verlassen, dort wird es spätestens in der Woche nach dem Festival auch stehen; wer dagegen schnell etwas lesen möchte, findet hier im Blog erste Eindrücke und manchmal ja auch schon ganz ausführliche Betrachtungen.

Diese Art von Doppelpublikation ist auch für mich gewöhnungsbedürftig, und ganz bestimmt noch nicht ideal gelöst. Aber ich lerne dazu, und freue mich über feedback, gerade auch per Mail, dann wird es beantwortet, wenn das Festival vorbei ist.

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Auch wenn das Festivalfinale am Samstagabend seine allerersten Schatten bereits vorauswirft, ist hier alles einstweilen noch in vollem Gang. In einer mitunter ermüdeten Fülle kann man hier schlag auf Schlag Filme sehen. wer nicht schreibt, wenig isst und früh aufsteht, wird hier problemlos sechs bis sieben Filme am Tag sehen können. Können wir gesagt. Ich habe einmal sechs Filme gesehen, bis allerdings aus einem davon nach 45 Minuten rausgegangen. Ansonsten sehe ich hier täglich in jedem Fall vier Filme – und das ganz entspannt: Ganz früh stehe ich nicht auf, und zwischendurch komme ich zum Schreiben und Arbeiten. Abends trifft man Leute. Und gelegentlich sitze ich sogar in der Sonne.

Irgendetwas müssen die Italiener – wie im Leben und im Fußball – auch in ihrem A-Filmfestival richtig machen. Denn in Cannes sehe ich am Ende weniger Filme, obwohl ich da in der Regel in die Frühvorstellung um 8.30 gehe, und obwohl ich hier nicht weniger arbeite. Dort steht man etwas länger in Warteschlangen, und die Programmierung ist viel weniger dicht.

Überhaupt ist das Festival von Venedig das entspannteste der großen Drei. Auch entspannter als Locarno. Nur in San Sebastian funktioniert das Zusammenspiel von Kino und Leben, Wohlfühlen und Arbeit, von Essen, Trinken, Sonne, Fußball und vielen Filmbesuchen ähnlich perfekt. Da bleibt sogar noch mehr Gelegenheit für einen Kaffee zwischendurch – schon weil das Festival mitten in der Stadt – einer richtigen Stadt im Gegensatz zu Cannes – liegt. Diese beiden Festivals machen den September zum mit Abstand schönsten Kinomonat des Jahres. Schon in acht Tagen geht es in San Sebastian los.

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Mit den Filmen von Lav Diaz und Emir Kusturica stehen aber hier erstmal noch zwei Wettbewerbs-Beiträge bevor, die hoch gehandelt werden. Ich bin da nicht ganz so optimistisch. Hinzu kommt der Film „Paradise“ des Russen Konchalowsky, der schon zweimal lief, den ich aber erst in ein paar Stunden sehen werde.

Die letzten Tage waren qualitativ nur durchwachsen. Leider. ich hatte mehr erwartet. Es gibt wenig schlechte Filme. Aber richtig Herausragendes leider auch kaum. Zwar gilt nach wie vor, dass das diesjährige Venedig-Programm durch besonders große Vielfalt besticht. Es gibt sehr unterschiedliche Filme, im Wettbewerb, wie in den Nebenreihen. Sie werden auch durch gewisse Themen verbunden: Sehr viele Filme haben weibliche Hauptfiguren. Sehr viele kreisen auf die eine oder andere Art um das Thema des Überlebens. Hinzu kommt die Tendenz, das Verhältnis von Gewalt zu Kultur und Natur des Menschen zu thematisieren, und nach der Funktion der Kunst zu fragen. Stilistisch ist weiterhin vor allem zweierlei bemerkbar, das nicht ganz neu ist: Immer noch sucht die Industrie einen Weg, 3-D-Technik unter die Leute zu bringen, obwohl die Schlacht eigentlich schon verloren ist: 3-D taugt nichts, bringt nichts, und vor allem nimmt es das Publikum nicht an. Richtig grotesk wird es, wenn einer wie Wim Wenders ein Zweipersonen-Stück von Handke in dem nicht passiert, nur ziemlich prätentiös herumgelabert wird, in 3-D filmt. Denn wenn dieser Film überhaupt irgendwen interessiert, oder zum Kartenkauf animiert, dann das Publikum von Programm- und Arthousekinos, und von Kinematheken. Nun kann aber kaum die Hälfte dieser Kinos überhaupt 3-D spielen. Hat das Wenders nicht bedacht? Da ich Wenders für einen viel größeren Zyniker halte, als es den Anschein hat, glaube ich, es ist ihm einfach egal.

Ebenso bemerkbar, und ebenso wenig neu ist, dass es mit der Aufhebung der Grenzen zwischen Autoren- und Genrekino, zwischen Fiction und Dokumentarischem weitergeht.

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Hier noch ein paar Eindrücke im Schnelldurchgang, die ausführliche Begründung folgt: „Une Vie“ von Stephane Brizé im Wettbewerb, der bei der im Mainstream-Geschmack gefangenen Mehrheit meiner Kollegen relativ gut ankam, ist eine unglaublich öde, zähe Angelegenheit. Brizé hat Maupassant verfilmt, aber alles ausgespart, das die Geschichte interessant macht – und gefällt sich leider gerade in diesem Nicht-Zeigen, das er vermutlich für Kunst hält. Aber ich fand schon Brizés kitschigen „La Loi du Marché“ („Der Wert des Menschen“) gnadenlos überschätzt.

Von Terrence Malick hatte ich viel erhofft. Seine IMAX-Doku „Voyage of Time. Life’s Journey“ scheint nun leider allen recht zu geben, die Malick schon in den letzten Jahren, oder immer doof fanden. Dieser Film ist es tatsächlich.

„Austerlitz“ (Außer Konkurrenz) vom Berliner Russen Sergeij Losnitza ist keineswegs die W.G.Sebald-Verfilmung, oder die von Sebald inspierierte Doku, als die sie sich ausgibt. Sondern ein stinklangweiliger Experimentalfilm in hässlichen Bilder, der alles und nicht bedeuten kann – weil hier alles im Auge des Betrachters liegt. In einem Biennale-Pavillon wäre das besser aufgehoben.

Ebensowenig hat „Kékszakállú“ vom Argentinier Gastón Solnicki (Orrizonti) irgendetwas ernsthaft mit „Herzog Blaubarts Burg“ von Bela Bartok zu tun, außer dem, was sich Insidern erschließen mag und der Tatsache, dass Bartoks Musik ein paar Male erklingt. Aber immerhin ist der Film über weite Strecken schön anzusehen.

Getröstet haben am ehesten zwei Japaner: „Gokuro – Traces of Sin“ ist eine komplexe Betrachtung der japanischen Gesellschaft und ihrer Auslesemechanismen im Gewand eines Thrillers , in dem ein Journalist einen Mordfall recherchiert. Und von dem Animationsspektakel „Gantz: O“ hatte ich gar nichts erwartet – es war dann viel mehr als nur eine Guilty Pleasure vor Bombastkulisse. Aber zu diesen Filmen noch mehr die Tage…

Rüdiger Suchsland