Venedig_2016_07: Wenn das Weiß kein Weiß mehr ist – 3-D-Filme von Wenders und Dominik.
Filmkritik ist auch die Kunst, sich selbst beim Sehen zuzuschauen. Selten habe ich das so bewusst getan, wie den beiden 3-D-Filmen im offiziellen Venedig-Programm, Wim Wenders Handke-Verfilmung „Die schönen Tage von Aranjuez“ und insbesondere „One More Time With Feeling“ von Andrew Dominik.
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Dominik, ein Australier in Hollywood, ist der Regisseur von „The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford“ (2007), und „Killing them Softly“ (2012), einer, der sich viel Zeit nimmt, sich scheinbar überaus gründlich mit seinen Themen befasst. Bei seinem neuen Film handelt es sich um einen Dokumentarfilm über den Musiker Nick Cave. Als Dokumentarfilm ist das Ganze auch recht geglückt. Was natürlich vor allem an Cave liegt. Der macht exzellente Musik, die in vielen Sessions gezeigt wird, und sagt dazwischen kluge oder interessante Sachen: „I just don’t believe in the narration any more.I just don’t think, life is a story. I try to do a fractured narrative.“ Und weiter „Most of us din’t want to change. Why should we? What we do most is sort of modifications of the design-model. But what happens, when an event occurrs?“ Das passt gut zu der Frage, „Was ist Kunst?“, die sich ein wenig durch viele Venedig-Filme zieht. Cave bezweifelt „the functionary role of accidents in art.“ Was etwas Magisches passiert, habe das nichts mit Wissen zu tun.
Untergründig geht es im Film sehr stark um den Unfall-Tod von Caves Sohn Arthur, darum, wie die Familie damit umgeht. Vieles bleibt aber unausgesprochen, zu vieles. Denn wenn man einfach nicht weiß, dass Caves Sohn gestorben ist – und es gibt solche Menschen – dann wird man es aus dem Film erst nach 70 Minuten raunender Andeutungen von „Abgrund“, „Trauma“, „Dunkelheit“, „Schmerz“ und ähnlichem erfahren. Zu lange schleicht Dominik um den heißen Brei herum. Für Musikfans ist dies aber trotzdem eine sehenswerte Erfahrung.
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Aber 3-D. Zu den klugen Sachen, die Cave sagt, gehört auch dieser Satz: „This ridiculous 3-D-Kamera. So this is just a directorial tactic to get us all pissed off.“ Das einzige Mal, als es Szenen-Applaus im Saal gab.
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Wie gesagt: Filmkritik ist auch die Kunst, sich selbst beim Sehen zuzuschauen. Also schaut doch bitte mal endlich hin, Leute! 3-D! 3-D sind nicht drei Dimensionen. Sondern es sind zwei Flächen, zwei 2-D-Filmebenen, die nach mathematischem Prinzip asynchron gerechnet werden, um den Eindruck des Dreidimensionalen zu erzeugen. Zwei Bilder überlagern sich, aber nicht wie eine Überblendung.
Die Behauptung, dies habe irgendetwas mit unseren Sehgewohnheiten zu tun, ist pure Ideologie. Ideologie, um uns eine Technik zu verkaufen. Und um uns unsere vorhandenen Sehgewohnheiten madig zu machen, sie zu delegitimieren, sie in Frage zu stellen.
Auch eine Beobachtung: Das Weiß ist kein Weiß mehr. Entweder ist es ein gleißendes Hellgelb, als ob es sich um eine Überbelichtung handelte. Oder es ist ein helles Grau. Genauso wie das Schwarz immer ein dunkles Grau bleibt. Das Gegenteil des Schwarzweiß von Giglio Pontecorvo in dessen „Battle of Algiers“, den man hier sehen konnte, das auch unscharf ist, oder in dem die Kontraste einfach verschwinden.
Ist es eigentlich noch nie jemand aufgefallen: Die Untertitel machen die Leinwand zum Aquarium. Sie sitzen immer vorne am Bild, und machen jene „vierte Wand“ sichtbar, mehr noch: spürbar, die man 110 Jahre versuchte, vergessen zu lassen.
Nächste Beobachtung: Das Licht bei 3-D ist überhaupt nicht unter Kontrolle. Lichtpunkte schwirren im Raum, immer wieder, vollkommen unmotiviert. Ein Beispiel: Einmal spiegelt sich im Film das Licht auf dem Glas eines Bilderrahmens. Die 3-D-Kamera begreift das nicht, sondern hält das Licht für einen Körper. So steht nun das gleiche Licht plötzlich im Raum quasi vor dem Bilderrahmen. Dann spiegelt sich auch noch in der Brille das Saal-Licht von der Notbeleuchtung und die Reflexion des Filmlichts im Saal.
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Es gibt drei mögliche Arten, einen 3-D-Film anzusehen. Alle verraten einem etwas über den Film und über 3-D. Man kann ihn erstens konventionell mit 3-D-Brille gucken. Das Resultat ist in jedem Fall scharfer than life. Zweitens kann man ihn ohne Brille sehen. Längst nicht alles ist unscharf, aber alles ist heller. Plötzlich gut beleuchtet, und wieder leuchtend. Die dritte Möglichkeit, einen 3-Film zu sehen, ist: Mit Brille, aber immer einem zugehaltenen Auge. Da hat man einen grauschleirigen Film, der am ehesten dem 2-D Filmerlebnis entspricht.
Was für ein Schwachsinn!
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Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass man eine Brille aufsetzen muss, wenn man ins Kino geht. Aber erst recht erstaunlich, was gute Regisseure alles in Kauf nehmen, Die Mühe, die Cave in seine Musik verwendet, verwendet der Film nicht in die Bilder.
Dass ausgerechnet so einer wie Wenders nun diesen 3-D-Fimmel hat, überhaupt diesen Technik-Fetischismus, werde ich nie verstehen: Einer, der kommt von einem Verständnis des Kinos als direkten, bodenständigen Erlebnisses, beiläufig, alltäglich, nah an den Menschen, Straßenkunst wie Straßenmusik – und nun mitten im Kunst-Jetset; Kino als bürgerliche Hochkultur. Bäh, Pfui.
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Bei Wenders‘ neuem Film setzt man die Brillen auf, und dann gleich wieder ab. Denn im feuchten Klima von Venedig beschlägt die Brille. Danach dann Unschärfen und Flimmern – es stimmt eben etwas nicht.
Was 3-D vor allem mit dem Kino macht: es nimmt das Leuchten raus. Man merkt es, wenn man die Brille mal absetzt – was man bei Wenders gut kann, denn dieser Film ist eh nur ein Hörbuch. Richtig unscharf sind da nur die Untertitel. Der Vordergrund ist nur ganz leicht verzerrt, der Rest aber ist flirrend, vibrierend, und es sieht gleich besser aus. Wie Impressionismus.
3-D wird zur Farce – aber das ist keine ironische Geste von Wenders. Nimmt man die Brille ab, sieht man Seurat und Manet – da wird es visuelle Kunst. Der Vordergrund ist nur ganz leicht verzerrt, der Rest aber ist flirrend, vibrierend, und es sieht gleich besser aus.
Rüdiger Suchsland