Darlings, Hype und Ephemeres

Venedig_2016_12: Warum nur? Warum Lav Diaz? Das Weltkino tritt zur Zeit auf der Stelle

„What I recognize accross all eight movies, was lack of compromise, imagination, original vision, daring…“ Originell, gewagt, kompromisslos – für ihn sei dies der beste Film gewesen, sagte Jurypräsident Sam Mendes auf der Abschlusspressekonferenz in Venedig, und meinte damit nicht etwa den Sieger, sondern Tom Fords Wettbewerbeitrag „Nocturnal Animals“, der einen der beiden Jurypreise bekommen hatte. Ein kleiner Affront, der ebenso wie die Teilung des Preises für die beste Regie zwischen den sehr ungleichen Filmemachern Amat Escalante aus Mexiko und Andreij Konchalowsky aus Rußland Bände sprach.

Offenbar war die Jury in diesem Jahr sehr gespalten in ihrem Geschmack und zwischen Künstleregos wie Laurie Anderson, Joshua Oppenheimer und eben Sam Mendes, der am Ende der Preisverleihung den Hauptpreis verkündete: „The Golden Lion for best film, goes to „The Woman who left“ by Love Diaz.“

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Es ist schon seltsam und auch ein bisschen absurd: Nach zwölf Tagen eines außerordentlich vielfältigen Wettbewerbs, mit Filmen, die die Grenzen zwischen Genre- und Autorenkino mehr als einmal durchbrochen haben, die in vielen Fällen zumindest versuchten, neues Terrain fürs Kino zu erschließen, gewinnt ausgerechnet der Film, der mit am deutlichsten für klassisches Autorenkino steht: Mit einfachsten Mitteln, zum Teil mit Laien gedreht und in Schwarzweiß. Aus den Filmen im Wettbewerb stach „The Woman who Left“ vom philippinischen Regisseur Lav Diaz vor allem durch eines heraus: Seine Länge von fast vier Stunden.

Dagegen, die brave Ordnung des Kinobetriebs ein bisschen durcheinanderzuwirbeln, ist nichts zu sagen. Und ein Opernbesuch dauert ja oft viel länger. Man fragt sich allerdings, was das Werk des Phillipinos eigentlich so großartig macht, dass seine Filme zur Zeit auf nahezu jedem größeren Festival auftauchen, und dort auch noch Hauptpreise gewinnen: In den letzten zwei Jahren in Locarno, bei der Berlinale und nun der Goldene Löwe in Venedig.

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Denn auch „The Woman who Left“ steht vor allem Simplizität in jeder Hinsicht, beiläufig und aus der Hüfte gefilmt, nicht besonders poetisch, sondern vor allem „Arte Povera“ die dem internationalen Autorenkino und dem Industriefilm Hollywoods und seinem Glamourbetrieb eine lange Nase dreht. Aber Lav Diaz kann sich zur Zeit eben alles leisten, er ist der neueste Darling der internationalen Autorenfilmszene, die offenbar gerade von sich selber derart gelangweilt ist, dass die Provokation um ihrer selbst willen schon ausreicht, um Erfolg zu haben.

Warum nur? Warum Lav Diaz? Am Nachmittag war ich mit meiner türkischen Freundin und Kollegin Nil auf der Architekturbiennale gewesen. Da gibt es einen tollen Raum zur „ephemeren Architektur“, deswegen fällt mir jetzt dieses Wort ein: Lav Diaz macht ephemere Filme, Filme die schon wieder verschwinden, wenn man sie gerade erst gesehen hat. In der Vorstellung, die ich gesehen habe, sind die Hälfte der Kollegen in der ersten Stunde von fast vier Stunden rausgegangen. Nicht aus prinzipiellem Desinteresse. Sondern weil man das alles schon kennt und es nicht wirklich spannend ist. Weil es einschläfernde Filme sind. Einer der Hauptgründe für den Lav-Diaz-Hype der letzten Jahre ist der, dass kaum einer diese Filme gesehen hat.

Dieser Film wird auch mit einem Goldenen Löwen nicht ins Kino kommen. Aber so funktioniert eben der Hype, den es natürlich auch in der Kunstszene nicht weniger gibt, wie anderenorts.

Ist wirklich noch mehr dahinter? Allein die Menge der Filme, die dieser Regisseur derzeit Jahr für Jahr in die Welt wirft, und ihre jeweilge Länge – unter dreieinhalb Stunden geht nämlich für diesen Regisseur gar nichts -, spricht schon dafür, dass hier einer gar nicht mit übermäßig viel handwerklicher Sorgfalt oder intellektuellem Aufwand arbeiten kann – es muss also wohl ein Genie vom philippinischen Himmel gefallen sein.

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Zumindest in einer Hinsicht repräsentierte „The Woman who Left“ aber genau den Trend des diesjähtigen Venedig-Jahrgangs: Die Hinwendung zu historischen Themen, die fast ein bisschen eine Flucht des Kinos vor der Stellungnahme zur Gegenwart wirkt.

„The Woman who Left“ spielt nämlich im Jahr 1997 und interessiert sich vor allem für die Tode von Prinzessin Diana und von Mutter Theresa und eine Kidnapperserie in Manila – und die Frage, wie dies die Hauptfiguren hier mitnimmt.

Aktuell brennendere Stoffe, die nicht in vergangenen Zeiten, sondern direkt in der Gegenwart spielen, gab es im Wettbewerb wenig. Am ehesten noch im Erwachsenenmärchen „La Region Salvaje“ des Mexikaners Amat Escalante. Nicht einfach „ein Märchen“, sondern ein sehr sinnliches Märchen. Und im Film der in den USA lebenden Iranerin Ana Lily Amirpour, die eine dystopische Kannibalenliebesgeschichte erzählt, auf die sich zu wenige der professionellen Festivalbesucher einlassen wollten – der Jurypreis hierfür eine gleichwohl sehr verdiente Auszeichnung.

Diese Filme versöhnen nicht, sondern spalten das Publikum.

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Der Trend zum Historischen ist, so interessant das im Einzelnen sein mag, als Gesamttrend besorgniserregend. Warum muss man, wenn man über politisches Charisma redet, eigentlich über Kennedy reden? Und dann noch über Jackie?

Man könnte auch über Obama einen Film machen, oder über Putin – aber die kann natürlich nicht Nathalie Portman spielen.

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Hinter allem Preisverteilen, Freude und Ärger und nicht zuletzt hinter der jungmädchenhaften Begeisterung der meist nicht mehr ganz jungen weiblichen Fans von Lav Diaz belegt der diesjährige Wettbewerb wie schon der von Cannes (der der Berlinale sowieso) vor allem eines: Sie wissen es nicht! Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll. Das Weltkino tritt auf der Stelle, der alte Autorenfilm regrediert (Kusturica! Wenders!!), der junge tritt auf der Stelle und variiert ein paar ausgeleierte Stilmittel. Die besten unter ihnen finden Mischformen wie Amirpour und Escalante, oder ersticken alle Kritik durch Virtuosität und betäuben den Zuschauer durch handwerkliche Perfektion – wie man, ganz ehrlich jetzt, François Ozons Film beschreiben muss, der sehr gescheit ist und gut gemacht, aber auch letztlich nichts bringt, und genausogut auch nicht existieren könnte.

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Hanns-Georg Rodek hat dazu einen interessanten Text in der „Welt“ geschrieben. Entscheidender Absatz: „Die Auswahl bezeugte profunde Ratlosigkeit, möglicherweise nicht die des Festivaldirektors Alberto Barbera (dessen Vertrag bis 2020 verlängert wurde), sondern einer ganzen Branche. Seit der Jahrhundertwende sind Geschäftsmodelle zerstört, Kundengewohnheiten umgepolt, Techniken revolutioniert worden, und Venezia 73 fühlte sich wie eine Versammlung der Weitermacher an, ohne Vision, ohne Mut.“

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Bleibt noch eines anzumerken: Kein einziger Preis für irgendeinen italienischen Film.

Rüdiger Suchsland