Frühstücksreis und abends Preis

Venedig_2016_11: Eine gespaltene Jury vergibt die Preise bei der „Mostra Internazionale di Cinema“ – Gedanken während der Preisverleihung

Man soll halt nicht so negativ denken. Die Juryergebnisse waren dann alles in allem zwar nicht super, aber erfreulicher, als von mir zuvor befürchtet (und erwartet).

Gerade der Anfang der Preisverleihung am Samstagabend verlangte aber starke Nerven: Der Portugiese, der den Schauspielerpreis in der Orrizonti-Sektion bekam, sabbelte geschlagene zehn Minuten über das Leben der armen Portugiesen, und den bösen Euro – mag alles stimmen, gehört hier aber nicht hin und bringt der Sache auch nichts.

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Diesen Film hatte ich nicht gesehen. Sehr wohl aber den spanischen Film „Tarde para la Ira“, für den die Hauptdarstellerin den Preis bekam. Das hat mich gefreut, weil der Film – eine Kriminalstory um einen Bankräuber, der nach acht Jahren aus dem Gefängnis kommt, und von einem Mann als Geisel genommen wird, der gute Gründe hat, sich zu rächen – weil dieser Film einer der unterhaltsamsten und handwerklich besten im diesjährigen Festival war. Kleiner Schönheitsfehler: Das ist ein richtiger Männerfilm, in dem auch die weibliche Hauptrolle eigentlich nur eine Nebenrolle ist. Dafür redete die Dame dann auch gefühlte zehn Minuten, und unser unvergleichlicher Freund Ugo Brusaporco, schimpfte laut: „Impossibile, impossibile.“ Das ging ja schon mal gut los.

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Dann gab es den Orrizonti-Spezialpreis der Jury, und den bekam Reha Erdem für „Big Big World“, der am Tag zuvor auch den „Bisato de Oro“ gewonnen hatte, den Ugo und seine Freunde – also glücklicherweise auch ich – bereits am Freitag Tag zuvor vergeben hatten. Im Film sucht ein Geschwisterpaar vor der Welt in einem Wald Zuflucht – lakonisch und sehr effektiv erzählt, dabei berückend und poetisch geht es um die Freiheit und ihre Grenzen. Reha sagte einfach „Merci beaucoup!“ und ging von der Bühne. Applaus im Saal für die kurze Rede, er hätte auch sagen können: Schluss mit dem Gelaber!

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Und weiter: Preis für Beste Regie im „Orrizonti“ an das großartige belgische Generationsdrama „Home“ – super! Über den Film hatte ich bereits ausführlich geschrieben. Der beste Film war laut der Jury „Libera mi“, ein italienischer Dokumentarfilm über Exorzisten in Sizilien, den ich dann am Abend noch nachgeholt habe. Unglaubliche, ungesehene Bilder aus dem Sizilien der Gegenwart! in den nächsten Tagen schreibe ich was drüber.

Kurz gesagt: Die Preise trafen genau die Richtigen. Fast. Denn auch dem argentinischen „Kékszakállú“ von Gastón Solnicki hätten wir noch etwas gewünscht.

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Dann die Wettbewerbsjury: Gleich der allererste Preis, Marcello-Mastroianni-Preis als beste Nachwuchsdarstellerin, ging an Paula Beer. Nachdem Wim Wenders‘ „Die schönen Tage von Aranjuez“ allgemein durchgefallen war, gab es damit doch noch einen Preis für eine Deutsche: Die zwanzigjährige Beer bekam ihn sehr verdient für ihre Hauptrolle in François Ozons „Frantz“, einer deutsch-französischen Liebesgeschichte über den Gräbern des Ersten Weltkriegs – vor Freude brach sie noch auf der Bühne in Tränen aus. Danach dankte sie dann – gut sie war gerührt – nicht etwa dem Regisseur oder der Jury, sondern ihrer Casting-Agentin und ihrem Coach und ihren Agenten – und das ist dann leider wieder so typisch deutsch im schlechten Sinne. Komischerweise dankt nie ein Schauspieler aus Frankreich oder Italien oder irgendeinem anderen Land Casting-Agenten und Schauspielcoachs. Aber so ist das halt bei uns… Sagt ja auch was über die hiesige Filmszene.

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Mit dem „Special Jury Award“ an Ana Lily Amirpour hätte ich nie gerechnet. Amirpour ist halt deine coole Frau, und darum sagte sie dann so schnoddrig wie schon am Dienstag bei der Pressekonferenz: „I guess that’s it, thank you, find a dream.“ Auch das sagt fast alles. Mir ist’s sympathischer.

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Als der Preis fürs Beste Drehbuch dann an Larraíns „Jackie“ ging, wusste man, dass einer der Favoriten bereits aus dem Feld geschlagen war: Denn in Venedig kann jeder Film nur einen Preis bekommen. Gut so, dachte ich, als dann Larraíns Bruder mit dem altkatholischen Namen Juan De Dios Larraín auf der Bühne stand und arg glatt daherredete.

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Die Schauspielpreise „Copa Volpi“ ließen dann weitere Hauptpreiskandidaten purzeln: Oscar Martinez hielt eine Rede, die man nach einem Film wie „El Ciudadano Illustre“, der sich über Reden bei Kulturereignnissen lustig macht, eigentlich nicht mehr halten kann. War aber lustig. Und er hat vier Töchter, denen er namentlich einzeln dankte. Emma Stone für „La La Land“ war nur per Videobotschaft (noch nicht einmal live) vertreten, wie zuvor schon der Drehbuchautor von „Jackie“. Es reißt allmählich ein, dass alle Amis nur noch über Video da sind. So könnte man auch ein ganzes Festival veranstalten, und wir schauen dann von zuhause zwei Wochen lang Streams. Man sollte es so machen, dass nur die noch einen Preis kriegen, wenn sie auch kommen. Das würde manche Entscheidungen erleichtern.

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Dann der Regiepreis. Geteilt! Auch noch zwischen Amat Escalante und Andreij Konchalowsky. Größer konnten die Unterschiede nicht sein. Konchalowsky redet auf Italienisch vom „grande patria russia“, die so viel geopfert hat. Oh je!

Und dann der Goldene Löwe für Lav Diaz. Jubel und Buhs im Saal. Oh je oh je…

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Am vorletzten Abend habe ich übrigens etwas Lustiges erfahren. Lav Diaz mag offenbar keine Hotels, darum hat er sich mit seiner Entourage ein paar Zimmer gemietet, in einer Wohnung, die während des Festivals komplett vermietet wird. Sie liegt im ersten Stock, direkt über der „Bar Maleti“ in der wir jeden Abend irgendwann sitzen. So kommt Kees, einer der angeblich drei Holländer, die in Venedig sind, zu der Erfahrung, zusammen mit Lav Diaz zu wohnen.

Kees erzählt, dass der Meister sehr früh aufsteht, vielleicht Jet-Lag-bedingt, und dass ihm seine Assistentinnen morgens zum Frühstück Reis kochen.

Rüdiger Suchsland