Zweiter Viennale-Tag: Betrand Bonellos NOCUTURAMA und Francesco Munzis ASSALTO AL CIELO
Wien pennt
Donnerstag Nacht, Viennale Zentrale. Okay, wir sind spät dran, es geht auf halb zwei zu. Für die Viennale aber doch keine Uhrzeit, oder? Als wir uns dem Eingangstor der alten Post in der Dominikanerbastei nähern, kommt ein junger Mann raus. „Geht da bloß nicht rein, da ist nix los!“ Wir stoßen die Tür auf. Ein nackter, unwirtlicher Saal, eine einsame DJane. An einem Tisch doch tatsächlich ein Pärchen. Grelle, viel zu laute Töne aus den Lautsprecherboxen. Ein Saalordner eilt auf uns zu: „Wir schließen gleich.“ Wir bekommen noch ein 0,3-Wegebier für 3 Euro 90.
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Das war’s wohl mit dem Festivalzentrum (es sei denn, Festivalleiter Hans Hurch legt wieder mal persönlich auf). Ein heikles Thema bei den größeren Festivals, kaum einer bekommt einen guten Treffpunkt hin. Oft wird dies auch falsch verstanden, wie bei der Viennale. Laute Musik, schummriges Licht und kaum Sitzgelegenheiten braucht man nicht nach einem Arbeitstag im Kino. Schön war’s einst im Badeschiff, mit heller Beleuchtung, großen Tischen fernab der Musik, an denen man sich zusammenrotten konnte, und jeder musste an einem vorbei. Die Jahre, da wir die meisten Filmemacher und neue Kollegen kennenlernten.
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Paris brennt
Muss Revolution eigentlich immer blutig sein? Müssen politische Kämpfe immer scheitern? Ist terroristischer Akt denn immer sinnlos? Was und wie dachte man doch gleich in den 70er Jahren darüber?
Bertrand Bonello ist ein Liebling meiner Kritikerkollegen. Sie schätzen sein „ausgeprägtes Gespür für das Schöne“ und seine Bereitschaft zur Oberflächlichkeit (zuletzt: SAINT LAURENT). Jetzt hat er mit NOCUTRAMA einen Oberflächenfilm über eine Gruppe Jugendlicher gemacht, die einen konzertierten Bombenanschlag auf Paris ausführt (inklusive der zweifelhaften Zweitverbrennung der Jeanne d’Arc, der von allen möglichen Gruppierungen vereinnahmten Symbolfigur Frankreichs). Anschließend verstecken sie sich in einem Luxus-Kaufhaus, um am nächsten Tag wieder nach Hause gehen zu wollen, wenn sich die größte Aufregung gelegt hat. Hanebüchener Plot eines Films, der sich ziemlich gut anlässt, mit schnellen Schnitten, und einem Thrill, der aus raschen Blick- und Metrowechseln und Detailaufnahmen auf Hände und Handys à la Bresson erwächst. Ein diffuses Ensemble aus lose zusammenhängenden Figuren, die eine gemeinsame Sache machen. Soweit ist alles klar. Und tolles Genrekino.
Eine völlig überflüssige Rückblende durchbricht dann den aus sich selbst heraus wachsenden Film: Wir erfahren, wer diese Jugendlichen sind, ihren sozialen Status, und wie sie sich kennengelernt haben. Motivation für den aufwendigen Bombenanschlag sollen Langeweile und soziale Randständigkeit sein, wird suggeriert. Oder vielleicht ist bei denen was im Kopf nicht in Ordnung? So lässt Bertrand Bonello zumindest denjenigen aus der Gruppe zweifeln, dem eine tolle Karriere bevorsteht, mit Studium an der französischen Elite-Uni ENS und Praktikum beim Innenminister. Letzteren haben sie jetzt in die Luft gejagt, und – oh Schreck – er wurde ernsthaft verletzt.
Gerne kann man die gute Portion Naivität als Portrait einer orientierungslosen Jugend betrachten, der Film insgesamt aber ist durchzogen von Gedankenlosigkeit. Unabhängig davon, dass erst nach dem Pariser Anschlag auf Charlie Hebdo (Januar 2015) mit den Dreharbeiten begonnen wurde und vor den konzertierten Anschlägen im November 2015 schon der Rohschnitt stand, wie Bonello erzählt (als hätten zu keinem Zeitpunkt diese Ereignisse Einfluss auf die Gestalt des Films haben können), gab es auch schon vor 2015 gewalttätige Sabotage- oder Terrorakte, die nicht (nur) negativ geprägt waren: FLN, RAF, IRA, ETA. Revolutionen, wo seid ihr geblieben? Und wirklich, keinerlei Anspielungen auf die Ängste und Wünsche der heutigen Jugend? Eigentlich wollte Bonello seinen Film PARIS EST UNE FÊTE nennen, zurückgehend auf Hemingways Erzählung „A Moveable Feast“. Da die Erzählung aber zum Symbol wurde, nach den Paris-Attentaten sich nicht das savoir vivre verderben zu lassen, nahm er davon Abstand. Das wäre dann doch zweifelhaft geworden: Paris als Stadt der abgefeierten Attentate zu inszenieren.
Die Oberfläche bei Bonello ist der Verzicht auf Erklärungen – und das ist ja erst mal gut. Mit der Wahl des äußerst seltsamen und unwahrscheinlichen Rückzugsort („ich liebe Unwahrscheinlichkeiten“, so Bonello), dem exponierten Luxus-Kaufhaus, wo erst einmal die vier Security-Leute erschossen werden, damit die jungen Erwachsenen ungestört im Kaufhaus Party machen können, macht die inszenierte Sinnlosigkeit von terroristischen Akten oder zumindest Aktionen einer leidlichen Didaktik Platz. Seht her, die Jugend, die mal was wollte, verfällt den bürgerlichen Luxus-Emblemen und den bourgeoisen Werten! Die fette Stereoanlage, die coolen Klamotten, der Hochzeitsanzug und Verlobungsring, die Badewanne, das bürgerliche Mahl mit Rotwein und Käse aus der Feinkostabteilung (ein Obdachlosenpaar wird, als Reminiszenz an Bunuels VIRIDIANA oder als leerer Charity-Akt, dazugeholt), alles wird jetzt groß ins Bild gerückt – als real existierender Warenfetisch. Nebenbei findet auch viel Product-Placement statt, bis das Kaufhaus gestürmt wird. Aber vielleicht geht es ja darum in Zukunft in den westlichen Gesellschaften: um den Konsum und die kapitalistischen Werte, ganz anders, als wir es bislang von der Revolte der Jugend kennen. Waren für alle! – Das ist am Ende denunziatorisch und zynisch gegenüber einer Jugend, die nicht nur in Frankreich bitter gegen den sozialen Abstieg und die Arbeitslosigkeit kämpft.
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Wir wollen alles, und zwar sofort
Erholung von der Oberfläche dann bei ASSALTO AL CIELO (dt. etwa: ANGRIFF AUF DEN HIMMEL). Francesco Munzi hat Archivmaterial zusammengetragen. Das Spannende ist das Material selbst, über Italien zwischen 1967 und 1976 (bis zur Wahl Giulio Andreottis zum Ministerpräsidenten), in denen sich Arbeiter, Studenten und Schüler zu einer revolutionären Bewegung zusammenschlossen, die das Ende der kapitalistischen Arbeiterausbeutung und die Gesellschaft aus ihrer behaglichen Konsumverfallenheit aufrütteln wollten. Symbol dafür ist das Fließband und die Unterwerfung des arbeitenden Menschen unter die unerbittlichen Mechanismen des Kapitals.“Wir wollen alles, und zwar subito!“, hieß damals, leicht selbstironisch, der Spontiruf.
Daneben formierten sich die Neofaschisten mit Bombenattentaten auf Rom und Bologna und linksradikale Gruppen wie die legale Lotta Continua oder die terroristische Brigate Rosse, die als Stadtguerilla agierten, Attentate verübten und Politiker entführten. Es wurde zu einem Kampf rechts gegen links, in dem Attentate der Rechten den Linken untergejubelt wurden. Es waren Anni di piombo, bleierne Jahre, in denen als Protestakte auch einfach mal Möbel aus den Büroräumen der Unternehmen geworfen wurden.
Francesco Munzis Montage ist unerklärend, undidaktisch, zeigt die Vielfalt der politischen Ereignisse und revolutionären Aufstände. Er montiert paradigmatisch, also innerhalb vorgefundener Themen- oder Bildfelder, verdichtet die Ereignisse jenseits ihrer Chronologie. Ein verhalten analytischer Sprung erwächst daraus, verstärkt durch die Reduktion der Bilder auf ihren Materialwert, der durch unterlegte Musik emotionale Färbung bekommt. Vage erinnert mich das an Marta Popivodas YUGOSLAVIA – HOW IDEOLOGY MOVED OUR COLLECTIVE BODY.Wie die bleiernen Jahre ausgingen? Es kam heraus, dass der Kampf von rechts gegen links gezielt vom Staat gelenkt wurde, um die Kommuisten zu schwächen. Die Hippie-Ära mit Gras & Peace & Sex für alle (nach Meinung mancher Linken eine bewusst gesteuerte Depolitisierung und Zersetzung der 68er-Bewegung) setzte dem politischen Kampf ein jähes Ende. Man genügte sich selbst, außerdem ging es der Lira schlecht. Zurück zur Arbeit.Die Revolution machen wir dann später.