Über 10 Jahre „meine“ Viennale, fast 20 Jahre Hurch – über allmähliche Ermüdungserscheinungen
Um einem Missverständnis vorzukommen: die Viennale ist ein ganz großartiges Festival. Wenn jetzt im folgenden von Ermüdung & Müdigkeit die Rede sein wird, dann geschieht dies als Meckern auf ganz, ganz hohem Niveau. Dennoch: in meinem 14. Viennale-Jahr kann ich sagen, dass Wien zwar schön ist, aber noch viel schöner sein könnte, wenn die Viennale nicht selbst allmählich in Müdigkeit erschlaffen würde. Am nahenden Ende der Ära Hurch ist dies auch legitim. Neu erfinden, oder gar der alten Dame eine Verjüngungskur verpassen, das wird ab 2019 die Nachfolge bewerkstelligen.
Die Viennale ist ein Lumpensammlerfestival, ein Kehrwagenfestival, und das ist ja auch sehr super für ein Publikumsfestival, für alle Wienerinnen und Wiener. Auch ich freue mich immer sehr auf die Viennale und darauf, endlich all diese Cannes-Filme zu sehen: die Rumänen, den neuen Assayas und die Filme aus Venedig. Das erspart mir andere Reisen. Aber das ist so etwas, wie den guilty pleasures frönen, wie blau machen, Ferien machen. Vielleicht lag es einfach an diesem Jahrgang, dass ich einfach schon unglaublich viele Filme des Programms kannte, es liegt auch ein wenig an Österreich, wo die großen Filme nochmals später als bei uns in Deutschland ins Kino kommen. Ich will jetzt gar nicht aufzählen, was wann und wo schon zu sehen war (viele Filme allerdings waren sogar aus dem letzten Frühjahr darunter, wie Beispielsweise der iranische HOMELAND von Abbas Fahdel, der in Nyon 2015 den Hauptpreis gewonnen hatte – wieso wurde der nicht im letzten Jahr gezeigt?). Das Programm machte insgesamt einen nicht mehr ganz frischen Eindruck.
Sehr weh getan hat so manche Filmplatzierung. Klar kann nicht jeder Film am Nachmittag oder in der Prime Time laufen. Aber warum, bitte schön, so langsame Filme wie die algerische, äußerst poetische Schlachthofdokumentation DANS MA TÊTE UN ROND POINT von Hassen Ferhani, oder den italienischen Wildschwein-Film IL SOLENGO von Alessio Rigo de Righi und Matteo Zoppis auf 23:30 Uhr programmieren? Ich habe mich tapfer wachgehalten, nur der Regisseur tat mir leid. Oder der österreichische THE LOOKERS von Peter Miller, ein Film über das Sehen und Betrachten: der auch um 23:30 Uhr begann. Da bin ich dann nicht mehr hingegangen. Katy Grannans THE NINE über drogenabhängige Prostituierte im Hinterland der USA, eine Verlängerung von Andrea Arnolds AMERICAN HONEY in das dokumentierte Elend hinein, begann erstaunlicherweise schon um 21 Uhr.
Und: Oh du, mein lieber kleiner Pleskow-Saal! Immer ausverkauft! Keine Chance, eine Karte zu bekommen! Wie gerne hätte ich den Douglas Gordon gesehen. Jetzt ist meine Fantasie gefragt und ich kann mir den Film ausmalen. Was in diesem Fall wohl nicht so schlimm ist. Denn I HAD NOWHERE TO GO liest sich einfach großartig folgendermaßen: „Ein Film für die Ohren. Die Bilder entstehen im Kopf. Meist bleibt die Leinwand schwarz, während Jonas Mekas schildert, wie er 1944 vor dem Vormarsch der Russen aus seiner Heimat Litauen flüchtete. Ein erschütternder Nichtfilm.“ Douglas Gorden, der visuelle Künstler, mit einem bilderlosen Nichtfilm! Selber schuld, wenn ich auf so ein Kino stehe… Kaum zu glauben, dass ich keine Karte mehr ergattern konnte. Das wiederum spricht natürlich fürs Viennale-Publikum.
Und liebe Viennale, wieso denn gar so lieblos? Was für eine tolle Hommage du da im Programm hattest: Peter Hutton! !!! Und dann: Nichts. Keine Einführung, keine Würdigung, keine Filmerzählungen. Natürlich ist das nackte Kino, der nackte Film immer auch toll, für sich selbst sprechend. Peter Hutton aber war einer, der immer mit seinen Filmen mitgereist ist, sie nie allein gelassen hat. Und jetzt sind sie verwaist, werden sogar von denen sich selbst überlassen, die sie eigentlich pflegen wollten. Oder wurde das Cinema pur, das stumme Kino des Hutton als implizite Anweisung genommen, nicht darüber zu sprechen, kein Fremd-Wort über das pure Bild zu legen, über diese wundervollen Studien über das Meer und die Natur und das Sehen?
Und noch was. Wien, das ist doch der Dreh- und Angelpunkt zwischen West- und Osteuropa, oder nicht? Ehemals k.u.k., näher als die anderen Länder dran am Balkan, in direkter Tuchfühlung zu Tschechien, zur Slowakei, Ungarn, Slowenien und unwesentlich weiter entfernt von Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, ja auch Rumänien. Wo sind denn die Filme aus den Balkan-Ländern? Wo sind denn die Nicht-Cannes-Rumänen? Vielleicht war’s auch einfach nur ein mauer Jahrgang, das kann natürlich sein.
Nach Wien fahren ist natürlich immer super, und die Viennale auch. Die vielen netten Kollgen, die man so trifft, eine zweite Heimat ist das geworden, über die Jahre hinweg. Eine behutsame Restaurierung der eingetretenen Pfade könnte aber nicht schaden.