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Tag_1: Neugier und Empathie
Es ist jedes Jahr aufs neue verblüffend, wieviele Zuschauer sich an einem sehr sonnigen Morgen im Kino einfinden, um einen Dokumentarfilm mit scheinbar sperrigem Thema anzuschauen. Mit „Hinter dem Schneesturm“ belohnt Levin Peter das Publikum mit seinem ganz speziellen Interesse an der Geschichte seines Grossvaters. Egal wie stumm oder gar wütend der Grossvater wird, der Enkel stellt beharrlich, neugierig aber immer extrem liebevoll Fragen nach der Zeit, die der Grossvater als deutscher Soldat in der Ukraine verbracht hat. Die Fragen sind nie Anschuldigungen, sondern sind der Wunsch das Unbegreifliche irgendwie doch zu begreifen, und auch wenn der Grossvater behauptet damals nichts gefühlt, nichts gedacht zu haben, meint man in seinem Gesicht uneingestandene Scham zu lesen. Levin Peter begnügt sich nicht damit auf familiärer Ebene nachzuhaken, er fährt, mit alten Photos im Gepäck, selber in die Ukraine, schaut sich um, trifft sich mit Veteranen. Zum Teil ist der Film etwas holperig geschnitten, aber die Herzlichkeit und das Interesse wiegen das insgesamt auf. Auch Yvette Löcker geht bei ihrer Familie auf Spurensuche, „Was uns bindet“ hat aber weder Dichte, noch spürt man Anteilnahme oder Neugier, vielleicht ist sie selbst zu stark in die familiären Reibereien involviert, es fehlt Distanz, um die Fragen nach Liebe und Lebenskonzepten auch für Fremde interessant werden zu lassen; eher fühlt man sich wie ein ungebetener Gast bei einem Familienstreit, der einen einfach nichts angeht.
Das Fremde betrachten, in Ruhe und vorurteilsfrei, das kann man in „Seeing voices“ von Dariusz Kowalski. Immer noch sind gehörlose Menschen im Alltag meistens unsichtbar, die Protagonisten dieses Films zeigen nicht nur, dass das dringend zu ändern ist, sondern machen auf sehr sympathische und einfühlsame Art klar, dass gehörlos zwar zur Identität gehört, aber keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal ist. Der Film bewegt sich zwischen den verschiedenen Personen und Gruppen, lässt Teilhaben an leben, feiern, politischer Arbeit, aufwachsen und erwachsen werden, und das alles ohne zu schulmeistern, dafür oft mit Humor.
Zum Abschluss dann doch noch ein Spielfilm, „Siebzehn“ von Monja Art, es wird viel geredet, gelitten, geliebt oder zumindest das getan was Siebzehnjährige für lieben halten mögen. Man glaubt – oder hofft – die ganze Zeit, dass der Film eine Wende zum Drama, zur Tragödie nehmen wird, dass irgendeine der Figuren unter der Last der verschmähten Liebe ausrasten oder zusammenbrechen wird, doch am Ende leiden sie einfach an einer sich selbst heilenden Krankheit, die da heisst: siebzehn sein. Ob sich Jugendliche von dem Film angesprochen fühlen werden ist schwer zu sagen, als nicht mehr jugendlicher Zuschauer aber freut man sich dieses Alter hinter sich zu haben.

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