Diagonale_2017_Eröffnung

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(c) chderiaz

Keine Angst

Zum 20 Mal findet die Diagonale in Graz statt, zum zweiten Mal eröffnen Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger unter begeistertem Applaus das Festival des österreichischen Films.

Wie auch im ersten Jahr ihrer Intendanz halten sie eine politische, aber auch launige Rede, fordern eine Raus aus der Gemütlichkeit der eingetretenen Pfade, ein Mehr an Mut und Neugierde. Neugierde, die zu mehr Verständnis für Fremdes, Neues führt und den Weg öffnet für Empathie. „Keine Angst“ fordern sie, einen Austropop Hit aus den 80ger Jahren zitierend, keine Angst, nur so lässt sich eine bequem gewordene (Film) Welt aufwecken.

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen fordert Neugierde und fragt zum Abschluss seiner kurzen Rede, „nationales Festival ja, aber was ist schon national?“, und trifft damit einen der grossen Pluspunkte des österreichischen Filmschaffens: die bunte Mischung aus gebürtigen und eingelebten Österreichern, Fremden, die hier arbeiten, Einheimischen, die im Ausland arbeiten, die alle ihre filmischen Blicke längst nicht mehr ausschliesslich auf den eignen, nationalen Nabel werfen, sondern die Welt und ihre Facetten ausleuchten gehen.

Ein solcher Ausleuchter, Erforscher war Michael Glawogger, einer dem man nicht erst nahelegen musste neugierig zu sein. Als er 2014 während des Drehs zu seinem Dokumentarfilm „untitled“ starb hinterliess er nicht nur ein grosses Loch in der Filmwelt, sondern auch etwa 70 Stunden Filmmaterial, und das Konzept für einen Film ohne Thema, eines Sichtreibenlassens. Aus diesen Komponenten hat Monika Willi einen phantastischen Film geschnitten. Die wunderbaren Bilder von Attila Boa, der den Mut hat mit der Kamera unaufdringlich aber bestimmt auf Situationen zu bleiben, zuzuschauen, ohne dem flüchtigen Kick nachzugeben näher an die Situation zu gehen, um eventuell mehr Drama einfangen zu können, und der damit das Drama, die Freude oder Trauer wahrhaftig einfängt, abbildet, dem Zuschauer nahebringt. Der Film entsteht, mehr noch als sonst, im Kopf jeden Zuschauers, und vermutlich sieht er sogar bei mehrmaligem Sehen jedesmal anders aus. Die Schnitte erfolgen nach bildlichen, graphischen Analogien und lassen so Assoziationen entstehen, man folgt nicht Glawogger/Boa auf deren Reise, man hat er den Eindruck in eigenen Erinnerungen sprunghaft, assoziativ spazieren zu gehen, ohne Eile, ohne Ziel, alles ist schon da, und erfindet sich trotzdem beim Betrachten neu. Ein wunderbarer Film, der vom Publikum mit grosser Begeisterung aufgenommen wurde.

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