Diagonale_2017_3

 

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(c) chderiaz

Tag_3 und 4_Elektrozäune und „Kosmopiloten“

Irgendwie waren in meinem Programm bisher wenig Spielfilme, das gilt es jetzt nachzuholen. Warum jemand zur 11.30 Vorstellung zu spät kommt, dann im Kino erst sein Handy ruhigstellt, um dann in aller Ruhe aus einer raschelnden Tüte eine Pappschachtel mit asiatischem Nudelgericht zu fischen, und zu essen bleibt rätselhaft.

Aber nichts davon ist Thema in: „Die Liebhaberin“ von Lukas Valenta Rinner. Eine umzäunte, bewachte Luxuswohnanlage, ruhig, kalt, mit manikürtem Rasen und blasiert, gelangweilten Bewohnern, und ein hippieskes Nudistencamp, mit wild wucherndem Grün, verschlungenen Pfaden, mit der Freiheit und freier Liebe frönenden Nackten, getrennt durch einen bösen Elektrozaun, verbunden durch eine verhuschte, irgendwie gebeugten Hausangestellte. Der Film entwickelt sich langsam, sehr langsam, die Hausangestellte Belén, schweigt, verrichtet ihre Arbeit, hat eine vage Beziehung zu einem Wachmann, bis sie das Nudistnecamp entdeckt. Und auch hier, Langsamkeit, wie bei einer Blume, die zu wenig Wasser hatte, kann man zusehe wie Belén sich langsam aufrichtet, aufblüht, bis ein hässlicher Unfall mit dem Elektrozaun zur Schliessung des Camps führt. Dann geht alles rasend schnell auf ein blutiges Ende zu. Sehr schön.

Eher blutleer eines der Kurzdokumentarfilm-Programme, vier Filme die architektonische Utopien zum Inhalt haben, aber weder gewollt asynchron „sprechend Köpfe“ wie in „Venus & Peripherie“ von Josephine Ahnelt, noch die Kombination -analog aufgenommener- Photos und mit dem Handy aufgenommener O-Töne in „Du, meine konkrete Utopie“ von Zara Pfeifer, schaffen wirklich zu überzeugen. „A tropical house“ von Karl-Heinz Klopf hat zwar schöne, perspektivisch interessante Bilder, aber man wünscht sich schon das Haus des indonesischen Architekten Andra Matin, wenigstens ab und zu in Totalen zu sehen.

Wann immer in Graz ein Film der Riahi Brüder gezeigt wird, wird es voll, sehr voll. Wären sie aus Graz statt aus Wien, man würde es ein Heimspiel nennen. Arman T. Riahis „Die Migrantigen“ fängt wegen der Publikumsmassen und des begleitenden ORF Kamerateams mit einer Verspätung von mehr als 30 Minuten an, was aber nach den ersten Minuten des Films schon wieder vergessen und vergeben ist. Eine überdrehte Komödie, die mit den gängigsten und dämlichsten Vorurteilen jongliert, sie neu sortiert, umdreht, durch den Wolf dreht, und als Feel-Good- Movie mit viel Humor wieder ausspuckt. Riahis beiden Co-Autoren Faris Rahoma und Aleksandar Petrović, die auch die Hauptrollen in diesem Filmspass übernehmen, zeigen Spielfreude und einen erfreulichen Mangel an Angst vor Peinlichkeit, Johlen, Klatschen Freude und am Ende das gesamte (!) Filmteam auf der Bühne. „Die Migrantigen“ dürfte problemlos auch nach der Diagonale viel Publikum ins Kino ziehen.

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„Die Migrantigen“ auf der Bühne (c) chderiaz

Wer Spielfilme bevorzugt, in denen geradlinig von A nach Z erzählt wird, der wird mit „Ugly“ von Juri Rechinsky nicht glücklich werden. Für alle, die kein Problem damit haben, wenn die Chronologie aufgehoben wird, es zwar eindeutig ein Vorher und ein weniger eindeutiges Nachher, aber definitiv kein festzulegendes Jetzt gibt, die traumschöne Bilder, in denen die Unschärfe die Schärfe aufzusaugen scheint, mögen, werden eine grosse Freude an diesem Film haben. Der Inhalt lässt sich, selbstredend nach dieser Einleitung, nicht nacherzählen, nur das Gefühl, dass wenn die Liebe aufhört alle Wunden zu heilen, die Verzweiflung malerisch das Zepter übernimmt und einen verwirrend schönen Film gebiert.

Es bleibt jetzt nur noch das Warten auf die Bekanntgabe der Preise, in der Hoffnung, dass die Neugierde auch in den Jurys dominiert hat.