Von Männern & Tieren

Tag 1 des französischen Festivals FID Marseille verhilft mit zwei kleinen Meisterstücken Männern und Tieren wieder zu ihrem Recht – Eine Kurzbetrachtung von Matjaz Ivanisins  PLAYING MEN und Pierre Cretons VA, TOTO

Die Spiele der Männer

Matjaz Ivanisin hatte sich mit seinem letzten Film als gelehriger Schüler des slowenischen Meisters Karpo Godina erwiesen: KARPOTROTTER setzte sich 2013 auf seine Spuren und fügte sich nahtlos mit seinem Witz und ethnographisch-kinematographischer Sorgfalt in das Film-Universum des Godina. Sein neuester Film PLAYING MEN, gestern als Weltpremiere beim FID Marseille aufgeführt, ist zunächst einmal ziemlich merkwürdig, zeigt dabei aber auch wieder viel Witz und Schalk. Entlang des großzügig weitgefassten adriatischen Raums von Kalabrien nach Novarra, dem türkischen Edirne und Zagora und Radosic in Kroationen, mit einem Zwischendurch-Abstecher nach Österreich, stellt Ivanisin traditionelle Spiele und archaische Wettkämpfe vor. Irritationsmoment hierbei: es sind wirklich überhaupt keine Frauen zu sehen (bis auf zwei kurze, aufschlussreiche Ausnahmen).

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Kernstück des Films, der auch das archaische Ölringen türkischer Burschen enthält, ist die Morra, ein an unser hiesiges „Schnick Schnack Schnuck“ („Schere, Stein, Papier“) erinnerndes italienisches Glückspiel, bei der die Spieler sich gegenseitig eine gewisse Anzahl an Fingern hinstrecken, eine Zahl ausrufen und darauf setzen, dass sich der jeweils andere verzockt. Was passiert, wenn dieser sich verzockt hat, interessiert Ivanisin nicht. Ihm geht es um das physische Austragen der Spiele, die Rituale, die die Regeln abbilden, die Schreie, die Aufgeregtheit. PLAYING MEN taucht in das hermetische Universum der spielenden Männer ein, dem im Zeitalter der Gendergleichheit kaum noch Beachtung zukommt. Er kann als Restitution einer gesellschaftlich ausgeblendeten Parallelwelt gesehen werden. Irgendwann kommt Ivanisin, der in seinem Film als Filmemacher auftritt, ins Stocken. Hält den Film an. Er wisse nicht mehr, wie es in seinem Film weitergehen soll. Immer nur diese Spiele zu zeigen… Man sieht ihn wie einen slowenischen Kaurismäki in einer nahezu leeren post-sozialisistischen Bar in sein Bier starren. Der Film wechselt relativ abrupt (dies ist eines der vielen Details, die den großartigen, anarchischen Witz ausmachen) zu einem  Tennismatch, an das sich ein Trainer auf einem Dorf-Tennisplatz erinnert, auch um zu zeigen, wie sehr es zum allgemeinen Mythenbestand gehört. Es ist das legendäre Spiel, das den Kroaten Goran Ivanisevic 2001 zum Wimbledon-Sieg brachte, und die Kroaten wieder stolz werden ließ. Spiele münden in Politik und sind am Ende identitätsbildend. Nicht nur für ein Geschlecht, eine Kultur, womöglich auch für ein Volk.

Tiere sehen dich an

Unbedingt in die Animal Studies aufgenommen werden sollte VA, TOTO des Franzosen Pierre Creton, in dem ein Wildschwein die Hauptrolle spielt. In seiner normannischen Heimat Pays-de-Caux zog eine Frau einen Frischling auf, den sie in der Wildbahn verletzt gefunden hatte. Creton hat einen Spielfilm aus diesem Nachbarschaftsfund gemacht, in dem er ganz ohne Tiertraining, nur mittels Montage und mit geteilter Leinwand, die Tiere zu handelnden Protagonisten macht. Katzen, Kühe, Kröten, Hühner, Hunde und eben das Wildschwein bevölkern den Film.

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Ein Affe, aufgelesen auf einem Abstecher nach Indien, der den Interessen eines Professors (gespielt von Pierre Cretons Partner Vincent Barré) folgt, liefert eine Szene in einem Hotelzimmer. Sie alle können auch als Alb, mythische Fabelwesen in einem neu geschaffenen Märchen, gesehen werden, entsprungen den unruhigen Träumen der Menschen. Irgendwann ist das Wildschwein groß und muss in einen Park. Dazwischen haben wir einen fingerleichten, wiederum witzigen und vor allem befreienden Film gesehen. Der neben den Tieren auch von anderen Existenzen, sozialen und sexuellen, erzählt, ganz und gar zärtlich. Tiere sind hierbei aber nicht im Spiel.

 

Do not go gently (aus dem Theatiner)

Kaum überkam uns zum Filmfest-Finale das große „with a whimper, not a bang“-Gefühl, entschlossen sich die Gäste des Festivals zu einem vehementen „do not go gently into that good night“!

Es mag Filmfest sein – aber das Theatiner bleibt eine uneinnehmbare Bastion des militanten Bildungsbürgers und seiner Welt- und Selbstsicht. Es hätte jenseits eines entsprechenden AfD-Äquivalents keinen besseren Film geben können für dieses psychische Extremsporterlebnis Kinogehen als Lucas Belvauxs Front National-Spielfilm CHEZ NOUS: Struwelpeter ist nix dagegen, wie hier die allein für sich in Anspruch genommene moralische Überlegenheit frontverteidigt wird!

Das Dunkel senkt sich grad im Saal,
da kommen Heribert und Karl
grad eben noch hereingeschneit –
kein Platz in Sicht mehr weit und breit.
Da donnert’s aus der Loge streng:
„Und ist der Gang auch noch so eng:
Wie dreist, hier noch im Raum zu stehen!
Schickt Euch doch an, DORT hinzugehen!“

Der freche Platzanweiser Franz
versteht wohl seinen Job nicht ganz:
Nur weil da welche spät einfleuchten
versucht er, ihren Weg zu leuchten.
Er hält das Lichtlein gut versteckt.
Glaubt er, so würd‘ es nicht entdeckt?
„Lösch er die Lampe, aber fix!
Sie gleißet so, ich sehe nix!“

Auch Lieschen ließ den Handyschein
strahlen in den Saal hinein.
„Lieschen, lass das Handy sein!
Steck es in die Tasche ein!“
Lieschen tut dies voller Scham
worauf laut von hinten kam:
„Ach, nun sieht auch sie es ein!
Im Kino darf sowas nicht sein!“

Der freche Franz, der Platzanweiser
wurd inzwischen noch nicht weiser:
Er will doch glatt darauf bestehen,
zur Platzsuche voranzugehen.
„Verdammt nochmal, nun weiche doch!
Was Bessres finde ich mir noch.
DORT will ich sitzen, mittendrin!
Ihr – lasst mich rein! Sonst seid Ihr hin!“

Doch bietet sich am Reihenrand
dem späten Drängler Widerstand.
Hier sitzt der Recke der Moral
und stellvertretend für den Saal
stöhnt er erziehend auf, ganz laut.
Doch die Kritik wird gleich zerhaut
durch Dränglers messerscharfen Witz:
„Ich weiß! GANZ schlimm, dass ich Besitz
von diesem leeren Platz ergreife
und Sie dabei am Beine streife.“

Mit nur geringem Blutvergießen
kann doch der Film dann letztlich schließen.
Wer sind die zwei, die sich da trauen,
so still und heimlich abzuhauen?
„Die Edel- und der Willmann glauben,
sie dürften uns der Sicht berauben
auf den Monsieur le Regisseur,
den man grad hat im Kreuzverhör.
Seit kaum erst einer halben Stund
tut man ihm seine Fehler kund.
Wie kann man schon den Saal verlassen?!
Soll’n sie den nächsten Film verpassen!“
„Stellt ihnen Beine!“ „Blafft sie an!“
„Ich halt sie auf!“ „Nein, ich bin dran!“

Leicht traumatisiert, aber immerhin an Leib und Leben unversehrt den engen Sitzreihen des Theatiner doch entkommen (jedenfalls, sobald die Beine wieder durchblutet waren), stolperten wir schon ins nächste Abenteuer:

Wie naiv der Glaube, beim Filmmakers Live Gespräch mit Nastassja Kinski könne ja soviel nicht passieren, schließlich handle es sich nicht um ihren Vater!

Beinahe wäre auch nicht viel passiert – als bei ihrem Auftritt die Kameras der professionellen Photographen anhuben zu einem kleinen Wetterleuchten, sprang die überrascht scheinende Kinski sofort in den Bühnenrandschatten und bat darum, in diesem Rahmen von allen Abbildungsversuchen geschützt zu bleiben. Sonst könne sie auch gleich wieder gehen.

Kurz beginnt das Gespräch dann doch, bei auf Frau Kinskis Wunsch gedämpftem Licht. Aber keine Minute später entlädt sich in der Black Box schon das zweite Gewitter von Respektlosigkeit, moralischer Überheblichkeit und aggressiver Zurechtweisung. Einige filmen doch per Handy mit; andere fühlen sich zum Hilfssheriff berufen und weisen lautstark auf diese Zuwiderhandlung hin; die Saalstimmung steht sofort auf „Kriegsbereit!“; Kinski erhebt sich nun wirklich und geht; die Festivalleiterin entspannt mit einem übertrieben barschen „Und keine Zwischenrufe!“ aus dem Dunkel des Zuschauerraums die Atmosphäre nicht gerade – und ruft erst recht den nächsten Streiter auf den Plan, die Entfernung des schuldigen Publikums aus der Black Box zu fordern.

Nur dem souverän servilen Moderator – den da der größte Nastassja Kinski-Fan gewiss nicht mehr um seinen Job beneidete – ist zu verdanken, dass es dann doch noch ein längeres und, bei aller bleibenden Grundanspannung, auf eine sehr seltsame, so naive wie intensive Weise rührendes Gespräch wurde. (Oder sagen wir: Eher ein mäandernder Monolog. Nicht im klassischen Interview-Sinne informativ, doch auf seine Art ein faszinierender Blick auf eine außergewöhnliche Persönlichkeit.)

Und zum Glück gibt es dann doch noch Traditionen und Werte, die die deutsche Zivilgesellschaft zuverlässig und friedlich vereinen zu mögen: Als Kinski die TV-Detektivrolle ihres einstigen Schauspielerkollegen Peter Falk nicht einfallen will, souffliert wirklich das gesamte Publikum einstimmig und wie ein einstudierter Chor auf Einsatz:
„Columbo!“

(Anna Edelmann & Thomas Willmann)