Diagonale_18 Eröffnung

Geschichte und Geschichten

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(c) ch.dériaz

 

2018 ist ein Gedenkjahr, Vieles jährt sich rund und wird entsprechend feierlich begangen und bedacht, da ist es also fast logisch, dass die 21.Diagonale mit einem historischen Stoff eröffnet wird.

Vor dem Eröffnungsfilm sieht das Programm launige Moderation mit politischem Kern, gewohnt scharfsichtige und politische Reden der Intendanten Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger und die Verleihung des Grossen Schauspielpreises an Ingrid Burkhard vor. Etwas Verwirrung herrscht, weil eigentlich niemand so recht zu wissen scheint, wer die launig-lustige Moderatorin ist, sie wird weder an-noch abgekündigt, sie steht plötzlich einfach da, auf der grossen Bühnen der Helmut List Halle, vor vollen Rängen und plaudert. Nun gut, kann man so machen. Die Liste der am Abend anwesenden Politiker ist überschaubar, und beschränkt sich im Wesentlichen auf lokale, also steirische Politiker, aus Wien ist niemand von der neuen Regierung angereist, schade eigentlich, schliesslich handelt es sich bei der Diagonale ja nicht um ein kleines lokales Filmfestchen, sondern um das Festival des Österreichischen Films.

 

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Mit Spannung wird die Uraufführung Murer – Anatomie eines Prozesses von Christian Frosch erwartet, ein Film der einen Justizskandal aus dem Jahr 1963 (nach)erzählt, ein Skandal weil trotz erdrückender Beweise, trotz in grosser Zahl angereister Zeugen mit bewegenden und erschütternden Aussagen, der als Schlächter von Wilna bekannte Franz Murer, am Ende als freier, unschuldiger Mann das Gericht verlassen hat. So weit die historischen Fakten; an sich also Stoff einen packenden, bewegenden, nachdenklich stimmenden Film zu machen. Aber von Anfang an irritiert die extrem unruhige Kameraführung, Reissschwenks, Arbeitszooms, die Kamera scheint geschoben und geschubst zu werden als befände sie sich in einer rasenden Menge vor einem Fussballspiel und nicht in einem Gerichtssaal. Der Zuschauer sucht verzweifelt nach Orientierung im Raum, unterstützt wird diese Unruhe durch Schnitte, die Einheiten, gedankliche, textliche, visuelle, zu zerhacken scheinen. Warum nur? Das Thema ist spannend genug, es muss nicht „aufgemotzt“ werden, man muss auch eine Chance haben der Geschichte zu folgen. In Szenen ausserhalb des Gerichtssaals sind sowohl Kamera als auch Schnitt extrem konventionell, Schnitt-Gegenschnitt Dialoge, alles bieder und eher uninspiriert. All das ist sehr schade, weil der Film wirklich tolle Darsteller hat, weil es schön ist, dass die Zeugen und Zeuginnen mal auf Jiddisch, auf Hebräisch, auf Englisch oder auf Deutsch ihre Aussagen machen, das gibt zusammen mit dem Inhalt genug Spannung und Originalität. Dass der gesamte Prozess eine einzige Farce war, abgesprochen von allen politischen Seiten, weil jeder irgendwelchen Dreck in den eigenen Reihen zu verstecken hatte, und Anfang der 60ger Jahre eine jetzt-reicht-es-langsam Haltung vorherrschte, wäre aufregend genug, es hätte der Aussage des Films sicher besser getan, wenn man den haarsträubenden Wendungen und Argumentationslinien der Verteidigung folgen könnte ohne durch taumelnde Kamerabewegung und verwirrungsstiftende Schnitte vom Inhalt abgelenkt zu werden. Um nicht ganz negativ aus diesem Abend zu gehen: die Darsteller sind alle hervorragend und das Sounddesign ist beeindruckend und geht unter die Haut. Beendet wird die Eröffnung mit Musik, Gespräch und guter Stimmung.

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