Frauen und Film

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Von mildem Frühling ist in Graz dieses Jahr nicht viel zu spüren, somit halten sich Pausen im Freien dann in Grenzen, und die manchmal sportlichen Wege von einer Vorstellung zur nächsten dienen auch zum Aufwärmen.
Besonders grosse Vorfreude heute, zuerst den neuen Film von Mara Mattuschka, und später am Abend den neuen Film von Ruth Kaaserer, das klingt schon am morgen wie ein guter Kinotag.
Bereist am ersten Festivaltag sind viele Vorstellungen restlos ausverkauft, wehe also, man hat nicht reserviert, oder der Computer hat die Reservierung verloren, dann hilft nur noch Hartnäckigkeit.
So schön, wenn Erwartungen erfüllt werden. Phaidros von Mara Mattuschka ist ein Feuerwerk brillanter Einfälle, bei dem jede Einstellung stimmt, jeder Bildausschnitt präzise gewählt ist und jeder Schnitt Augen und Sinnen schmeichelt. Theater im Film, Sokrates und Phaidros Diskurs von Eros und Liebe, mäandern ins „wahre“ Leben, wobei Sokrates zur Faust Figur wird, Phaidros zu seinem Loveinterst/Gretchen und eine mysteriöse Strippenzieherin zum alles dirigierenden Mephisto wird; barock, melodramatisch, Drag und Tatort, ikonische Bilder umgestrickt, surreales Kino, und doch leicht und locker. Und auch für Österreich gilt, manche tolle, schräge Filme würden nie gemacht werden können, wenn sie nicht auch mit Unterstützung von Fernsehgeldern rechnen könnten.

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Wirklich herzzrerreissend geht es in Zerschlag mein Herz von Alexandra Makarova zu. Die Romeo und Julia Liebesgeschichte im Umfeld einer Slowakischen Romagruppe, die in Wien betteln oder auf den Strich gehen, beaufsichtigt vom groben Rocky. Das Leben läuft in eingefahrenen Bahnen, bis ein neues Mädchen aus ihrem Dorf kommt, zwischen ihr und dem gleichaltrigen Bettler Pepe kommt es zart zur Annäherung, während Rocky gewohnt brachial versucht sie für sich zu gewinnen. Das kann nicht wirklich gut gehen. Trotz fast stereotyper Figuren finden sich immer Zwischentöne, die die Figuren aus der Rolle fallen lassen, so dass selbst Rockys Machoverhalten manchmal weich wird, und auch Opfer-Täter Verhältnisse nicht immer eindeutig fassbar sind. Der Film gibt einen Rhythmus vor, bei dem man sich als Zuschauer fast in „Sicherheit“ wähnt, um dann um so böser zuzuschlagen, man hätte es von Anfang an wissen müssen, solche Geschichten gehen nie gut aus.
Eine weitere Flucht- Vertreibung- Familiengeschichte gibt es mit Kinder unter Deck von Bettina Henkel. Auf die Idee dass das ein Erstlingsfilm ist kommt man wirklich nicht. Die Reise in die Vergangenheit der Vaterfamilie, Balten-Deutschen, ihrer Flucht nach Polen, inklusive Nazivergangenheit und anschliessender Flucht in die Britisch besetzte Deutsche Zone, verhilft sowohl Vater als auch regieführender Tochter zu neuen Erkenntnissen. Öffnet Wunden neu, die dann aber behandelt werden können, und so auch heilen werden. Die Traumata der Grossmutter, die unerwartete Schmerzen in der Enkelin verursachen, aber auch eine als gestört empfundene Vater-Tochter Beziehung, die so lieblos eigentlich doch nicht war. Sehr schön die Mischung von Gesprächen, Reisen und 8mm Familienfilmen, oder auch Photos, die zunächst geisterhaft weiss die Leinwand füllen, aus denen sich langsam Gesichter schälen, und Vergangenheit lebendig wird. Es ist tatsächlich möglich seine private Geschichte im Film zu zeigen ohne peinlich zu berühren.
Ruth Kaaserers Thema scheine starke Frauen zu sein, nach jungen Boxerinnen jetzt in Gwendolyn eine Gewichtheberin von über 65 Jahren. Eine zarte Figur mit einem Kampfgeist, für den Aufgeben keine Option zu sein scheint, egal ob es dabei um ihre Krebserkrankung geht, oder um die nächste Europameisterschaft im Gewichtheben. Der Film folgt ihr, offen und interessiert, nie invasiv obwohl viele Situationen einen durchaus privaten, intimen Charakter haben. Ein schönes Porträt einer tollen, starken Frau. Der Film wurde heute mit dem Franz-Grabner Preis ausgezeichnet, ein Preis der „Dokumentarfilmschaffen mit kritischem Geist und europarelevanten Inhalten würdigt“.
Ein ganzer Festivaltag, und jeder Film, den ich gesehen habe, wurde von einer Frau gemacht, das muss erwähnt werden, weil es immer noch viel zu selten ist.