Diagonale_18 Tag_3

Über Grenzen

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Der vorletzte Festivaltag, morgendliches Grau mischt sich mit Regen, die 11 Uhr Vorstellung ist ausverkauft; klingt gut – aber nur fast.

 

Wieviel soll oder muss oder darf man über eine Film schreiben, der eigentlich kein Film ist? Oder muss man erst definieren was ein Film ist? Oder: sind wechselnde Farbflächen, monochrom, oft eher blässlich, schon Bild, gar: Filmbild? Reicht es, aus mit dem Handy – schlecht – aufgenommenen audiophonen Tagebüchern eine Tonspur zu schneiden, und diese mit monochromen, blässlichen Farbflächen zu hinterlegen? Ist ein Film etwas, das auf einer Kinoleinwand läuft, nachdem jemand auf „Start gedrückt“ hat? Die, schwer nachvollziehbare, Antwort der Diagonale Programmierer ist offensichtlich ja gewesen, und so liefen 20 Minuten Hörtagebuch mit Farbflächen unter dem Titel Die Galerie von Gerald Zahn im Doppelprogramm mit Gatekeeper von Lawrence Tooley und Loretta Pflaum. Gatekeeper ist sicher kein einfacher Film, und ebenso sicher dürfte er es im Kino schwer haben, trotzdem, ein toller, ein verwirrender Film. Harter Sichtbeton, enge Winkel, schräge Einblicke, alles sehr geradlinig, klaustrophobisch, ein Beton-Glas- Spinnennetz, in dem die Figuren gefangen scheinen. Eine Frau, die mal blond, mal brünett ist, ein junger Rumäne, den sie erst anfährt, dann mit nach Hause nimmt, dann in ihr Bett nimmt. Ein junger Mann? Oder doch zwei? Die Erzählstränge laufen übereinander, durcheinander, vermischen sich, ergeben ein Neues, öffnen sich, die Figuren bleiben gefangen, egal wieviel sich klärt im Verlauf des Films. Mysteriös, stilistisch und inhaltlich spannend, und dazwischen ein Pakistani, der in einer Videoinstallation Kafakas Türhüterparabel erzählt. Empfehlenswert.

Ein paar Kurzfilme für Zwischendurch, die, man sollte es einfach immer mal wieder einfordern, sich so hübsch anbieten würden als Vorfilme im Kino, bei Langfilmen, die vielleicht nicht so sehr lang sind. Iris Blauensteiner hinterfragt in ihrem sehenswerten Experimentalfilm, die_anderen_bilder, die Verlässlichkeit von Erinnerung in und mittels digitaler Daten. Photos, Videoclips, Tonspuren ihres vor 10 Jahren gedrehten Films überlagern sich, sind teilweise nur noch bedingt abspielbar, verschwimmen und ergeben modifizierte Varianten, Erinnerung von damals wird im Heute Material für morgen. Eine Resteverwertung, die Spass macht. Die Latexfiguren in Amnesia von Shadab Shayegan suchen und zweifeln, sind ihre Erinnerungen wirklich ihre eigenen, oder sind eher sie es, die jemandes Erinnerung sind? Eine philosophische Betrachtung des Ich, des Sein, für die es keine letztgültige Antwort gibt. Sekundenschlaf von Lena Lemerhofer erzählt von einem Moment, der das Leben einer Familie verändert. Der Sekundenschlaf des Vaters führt zu einem Unfall, die kleine Tochter bleibt unverletzt und zieht sich in der Folge in sich zurück. Die Stimmung des Films entspricht der des Mädchens, die Welt scheint zu gross und auch zu unverständlich; interessant, wenn auch nicht komplett schlüssig. Der Schmerz, der das junge Paar in Generalprobe von Jannis Lenz antreibt ist klarer, auch wenn er zunächst für den Zuschauer unklar ist. Eine Entführung scheint geplant, in einer Hütte im Wald üben die beiden wie man am besten Hände fesselt, der Aggressionspegel zwischen ihnen steigt, bis man versteht, dass ein Unfall auch ihr Leben dramatisch verändert hat, und die Frage der Schuld nicht gänzlich geklärt ist. Das Ende, das am Anfang des Films steht, bleibt offen.

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Die Computer lassen weiterhin Reservierungen verschwinden, was zu Ärger vor den Kinokassen führt, weil man sich unvermittelt statt mit einer Karte mit einer Wartenummer wiederfindet. Glücklicherweise bleiben dann doch Plätze frei, denn Zu ebener Erde von Birgit Bergmann, Steffi Franz und Oliver Werani hätte ich nur ungern verpasst. Menschen, die jeder immer sieht, und doch immer übersieht: Obdachlose, sind das Thema in einem Film, der nachdenklich macht, vor allem weil er sehr ruhig, sehr undogmatisch ist. Die Bilder zeigen ohne geschmäcklerischen Schnickschnack das Wesentliche und sind dabei trotzdem interessant und künstlerisch. Über einen langen Zeitraum werden verschiedene Menschen in Wien begleitet, man sieht Veränderung, manchmal zum Positiven, aber auch den Verfall eines der Obdachlosen, der das Ende des Films nicht mehr erlebt hat. Ein sachlicher, schonungsloser und beeindruckender Dokumentarfilm, der vielleicht auch dazu führt, dass man das nächste Mal an einem Obdachlosen nicht achtlos vorbei geht.

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich Nikolaus Geyhalter dem Thema Grenzen, Grenzschliessung, Flucht annimmt. Die bauliche Maßnahme ist ganz knapp noch rechtzeitig für die Uraufführung fertig geworden, und übersteigt die im Katalog angegebenen 95 Minuten, um wieviel wurde nicht verraten, aber die „Überlänge“ stört keineswegs. In gewohnt gut organisierten Bildern umkreist Geyrhalter zwei Jahre lang die Brenner Region, nachdem von Österreichischer Politik vollmundig behauptet würde, man würde dort einen Grenzzaun ziehen. Der Film arbeitet sich vom Zentrum am Brenner in alle Richtungen aus, lässt Anwohner in verschiedenen Orten zu Wort kommen, geduldige Momentaufnahmen, um am Ende und zwei Jahre später wieder zum Ausgangspunkt zurückzukommen, wo zwar mittlerweile Baracken für die Polizei stehen, aber der Maschenzaun in einem gut abgeschlossenen Container weiterhin auf seine Errichtung wartet. Der Film ist an vielen Stellen extrem komisch, oft absurd und entlarvend, zeigt aber noch mehr als das, dass zumindest in dieser Region das Grenzenziehen mehr als sehr unpopulär ist.

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