FFM 2018: Kurzkritik JULIET, NAKED

Es ist relativ eindeutig, welche Art von Film JULIET, NAKED sein möchte: Eine harmlose, britische Wohlfühl-RomCom, in der alles nett, niedlich und ein bisserl dekorativ verschroben ist. Er hätte freilich jedes Recht dazu – es wird nur halt leider schwierig, wenn er dazu permanent vor den Figuren und der Geschichte fliehen muss, die er eigentlich erzählt.

Es geht um Menschen, die Jahrzehnte ihres Lebens vertrödelt, vergeudet haben: Der Musik-Nerd Duncan an seine obsessive Verehrung des eher obskuren Singer-Songwriters Tucker Crowe. Annie an ihre Provinzexistenz, ihren Provinzjob, die (ihrerseits mittlerweile ungewollt) kinderlose Beziehung zu Duncan. Und Tucker Crowe selbst an eine lange, musikalisch komplett unproduktive Phase des Rumlungerns, die vor allem ein Versuch war, sich in seine Rolle als Vater diverser Kinder aus diversen Ehen und Affären zu finden (oder ihr zu entkommen).

Man kann sowas ja durchaus auf komödiantische Weise erzählen – aber echter Humor, Komik entsteht aus der entsprechenden Sicht auf Verletzungen; nicht daraus, dass man die Verletzung zu ignorieren,völlig wegzuwischen versucht.
Es tut sich in Jesse Peretz‘ Film (nach einer Vorlage von Nick Hornby) schnell eine seltsame Kluft auf zwischen dem, was die Figuren über sich selbst reden, und dem, was der ganze dauerversöhnliche, wohlig lächelnde Tonfall einem mitzufühlen gestattet. Und, oh, wieviel die Figuren über sich selbst reden! JULIET, NAKED ist einer dieser zu Tode ausbuchstabierten, manisch abgedichteten Filme, wo alle permanent so erschöpfend wie unzweideutig Auskunft geben müssen darüber, was sie grade empfinden und wollen, und warum – und wenn’s der Dialog nicht hergibt, dann halt im Voice Over. Nie darf dabei hinter den Worten noch eine zweite Ebene lauern, nie darf mal einfach nur ein Blick, eine Geste alles verraten. Obwohl die Besetzung – Ethan Hawke, Rose Byrne, Chris O’Dowd – das doch absolut hergäbe, wenn die Regie sie nur spielen ließe.

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Never meet your idols…

Nun scheint aber der Film selbst seltsamerweise derjenige, der am wenigsten zuhört, wie bitter das eigentlich ist, was die Charaktere da von sich geben – und der somit auch unfähig ist, dazu wirklich Stellung zu beziehen. Er entscheidet sich nie, ob Duncan nun ein im Grunde doch liebenswerter Honk ist, oder ein unerträglicher, unreifer Narzisst. Er realisiert nie, wie sehr man Annie für ihre schweig- und duldsame Unerfülltheit mitunter wachwatschen möchte. Er trauert nie um Crowes vergeudetes Talent.

Eine der wenigen lebendigen Szene ist ein Aufeinandertreffen von Duncan und seinem Idol Tucker Crowe, welcher das Album, das Duncan alles bedeutet, als belanglosen „Bullshit“ abzutun versucht. Da geht es dann einmal ganz kurz wirklich um Kunst, und wie sie einen im Tiefsten berühren kann, und ob sie die künstlernden Menschen zu etwas verpflichtet. JULIET, NAKED lässt dieses Thema daraufhin freilich prompt verschwinden. Vielleicht ist ihm insgeheim ja doch peinlich, wie weit er selbst von irgendeiner derartigen Kunst entfernt ist.

Thomas Willmann