54. Solothurner Filmtage_1

Ideale, Idealisten, Realität und was das alles mit Kunst zu tun hat

 

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(c) ch.dériaz

Zum 54. Mal finden sie statt, die Solothurner Filmtage, die Werkschau des Schweizer Filmschaffens, 165 kurze und lange Filme wird es in sechs Tagen zu sehen geben, Filmdebüts, Premieren, Uraufführungen, Bekanntes und Unbekanntes.

Filme, die vielleicht gegen die „Denkfaulheit, Phantasielosigkeit und die Kleinmut“, von der Bundesrat Alain Berset bei seiner Eröffnungsrede sprach, helfen können.

Filme au jeden Fall, die immer mit einer gossen Portion Idealismus auf den Weg geschickt werden, und die im malerischen Solothurn eine perfekte Kulisse finden.

 

Eröffnungsfilm «Tscharniblues II» Aron Nick, 20 Jahre nach „Tscharniblues“, der in Solothurn überraschende Erfolge feierte, geht Aron Nick, der Sohn eines der sechs Protagonisten von damals, auf die Suche nach dem was geblieben ist. Was ist passiert mit den Freunden, mit ihren Idealen, ihrer Sicht auf die Welt, wer sind sie geworden, und wollten sie das werden? Er nimmt dafür Ausschnitte aus dem 40 Jahre alten Film, und setzt die Jungs von damals, den Männern von heute gegenüber. Ein sehr ehrlicher Film über Freundschaft und das Selbstbild, aber auch über den Austausch zwischen den Generationen. Ein Film der nahegeht, weil seine Akteure sich öffnen und Einblick erlauben ins Damals und ins Heute. Dem Premierenpublikum gefiel das. Ein Festivaleinstieg, der auf Gutes hoffen lässt.

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Und gleich mit der ersten Frühvorstellung wird das Hoffen belohnt:

Der Animationsfilm „Lachfalten“ von Patricia Wenger bricht mit leichten Strich poetisch-surreal eine Lanze für die Empathie, herzerwärmend und lustig.

Subito – Das Sofortbild“ von Peter Volkart, erzählt interessant, witzig und umfassend von den Anfängen der Polaroid Photographie über deren Fall ins Vergessen und den Wiederaufstieg in unserer analogfeindlichen Welt. Wunderbare Archivaufnahmen kombiniert mit Interviews, mit Werbeclips und Bildern diverser Künstler, für die die Polaroidkamera DAS Medium war und ist, ihrer Kunst den besten Ausdruck zu verleihen. Schön und originell nicht nur auf Grund des Bildmaterial, sondern komplex und beeindruckend durch Schnitt und geniale Vertonung.

 

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In kaum einem Moment ist man so verletzlich und „nackt“, wie vor dem Spiegel beim Haare schneiden, gleichzeitig ist dieser sehr intime Moment zwischen Friseurin und Kunde oder Kundin, fast möchte man sagen traditionellerweise, auch ein Augenblick grosser Offenheit. Diese Kombination nutzt „Im Spiegel“ von Matthias Affolter, um von Obdachlosen und ihrem Leben auf der Strasse zu erzählen. Genaugenommen, sie selbst erzählen zu lassen, während ihnen die Haare geschnitten werden. Entstanden ist dabei ein Film der Persönliches offenlegt, Geschichten, die oftmals einen ähnlichen Anfang haben, eine Kindheit, die alles andere als behütet und liebevoll war. Die Obdachlosen erzählen wie und wieviel sie mögen, haben eine Stimme, während die Kamera sie auch auf der Strasse, im Wohnheim oder im Krankenhaus begleitet. Das alles geht sehr behutsam von sich, und gibt den Menschen ein Maximum an Würde, während es den Zuschauer manchmal beschämt. Im reichen Europa leben weiterhin zuviele Menschen auf der Strasse. Schöne Bilder , ein guter Erzählrhythmus, leider zu viel Musik, die der Atmosphäre nichts hinzufügt, und dadurch eher nervt als freut. Am Ende viel Beifall für den Film und noch mehr Beifall für die anwesenden Protagonisten.

Frühkindliche Traumata, dazu der Selbstmord des Bruders, und eine völlig unzureichende Fähigkeit mit emotionalem Stress umzugehen, führen im beeindruckenden „Der Läufer“ von Hannes Baumgartner zur Katastrophe. Nach einer wahren Geschichte zeichnet er die Entwicklung eines jungen Mannes vom Koch und Langläufer, mit gelegentlichen Wutausbrüchen, zum immer brutaler agierenden Handtaschendieb, der letztlich eines seiner Opfer ermordet. Es gibt eine Parallelität in der Entwicklung des braven Läufers, der immer besser wird und des brutalen Aggressors, dessen Untaten immer schlimmer werden, ein Paralleluniversum aus dem es keinen Ausweg mehr geben wird. Das sehr eindrückliche Spiel von Max Hubacher und die manchmal nervöse Kamera kreieren eine dichte, böse Atmosphäre.

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Besonders schön und erfreulich, dass vor Langfilmen unter 90 Minuten Kurzfilme gezeigt werden, so etwas würde auch in Kinos ausserhalb von Festivals sicher gut ankommen.

Schweizpremiere und am gleichen Abend Vorstellung beim Sundance hat der Kurzfilm „All Inclusive“ von Corina Schwingruber Ilić. Sie erzählt kurz, bündig und in tollen Bildern vom Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff, dokumentarisch und satirisch, wer danach noch eine Kreuzfahrt machen will, ist selber Schuld. Danach „Pearl“ von Elsa Amiel, ein Film der Details, des Glitzern und der grossen Unschärfen. Die Lebensentscheidung für die Karriere als Bodybuilderin und gegen das Leben mit ihrem Kind, auf dem engen Raum eines Luxushotels. Man kann die Geschichte kitschig finden, oder sich hineinziehen lassen, in eine fremde, irreale Welt, in der dann doch, für kurze Zeit ein Ausbrechen möglich wird, eine weitere, dritte Option. Beeindruckende Kamera, spannender Schnitt und ein ganz junger Darsteller, der mühelos die Leinwand erobert.

Auch bei den Filmtagen sind wieder einmal nur 30% Prozent der eingereichten Filme von Regisseurinnen, damit dieser Missstand sich ändert, werden die Solothurner Filmtage diese Woche die Gender-Charta des Swiss Women’s Audiovisual Network unterzeichnen, und damit eine Verpflichtung eingehen, das Ungleichgewicht der Geschlechter in der Filmbranche zu beheben. Ein wichtiger und guter Vorstoss, in einem Land, dass gerne ausgelacht wird, weil es eines der letzten war, das Frauenwahlrecht anzunehmen. Man kann solchen Initiativen nur Erfolg wünschen, da es anscheinend ohne sie oder ohne „Quoten“ nicht geht.