54.Solothurner Filmtage_2

Wie die Zeit (ver)geht

dsc_1393

(c) ch.dériaz

In diesem Jahr funktioniert die Filmtage App, mit der man seine Filme für den kommenden Tag reservieren kann, gut, allerdings sollte man dafür pünktlich um 8:30 starten, denn spätesten um neun, sind viele der Spätnachmittag-und Abendfilme bereits ausgebucht. Da macht es dann weiter nichts, in die Frühvorstellungen zu gehen. Das morgendliche Kurzfilmprogramm ist schon relativ gut besucht, und bietet thematisch gemischtes Allerlei. Immer wieder Thema: alte Freunde, Jugendfreundschaften, die sich ins weitere Leben ziehen, und dann doch nicht mehr so ideal und frei funktionieren. In „love a little“ von Beatrice Minger brechen drei Freunde auf, einen nicht näher benannten Schatz auszugraben, den sie als Teenager verbuddelt hatten. Aus der einstigen Leichtigkeit sind komplexe, ballastbeladene Strukturen geworden. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Vergangenes vielleicht besser begraben bleibt. Das ganze ist hübsch gedreht, aber etwas geschwätzig. In „Krähen schiessen“ von Christie Hürzeler gibt es eine Bildebene, in der Krähen in einem winterlichen Park umherfliegen, und einen narrative Ebene, in der es um nie sichtbare Menschen in diesem Park geht, interessant und experimentell vor allem die oft verrückten Aufnahmen der Vögel und eine wilde Geräuschspur. Nichts für Vogelphobiker. Dunkle Räume, eine melancholische Stimmung und viel nackte Männerkörper in „Tendresse“ von Maxime Rappaz. Ein junger Mann in einem Sexclub, er scheint zum ersten Mal dort zu sein, schleicht zunächst scheu durch die Dunkelheit, und taut langsam auf; die titelgebenden Zärtlichkeit ist allgegenwärtig. Zauberhaft die beiden jungen Männer in „La Visite“ von Alice Fargier, sie stromern durch ein Museum für wissenschaftlich-technische Spielereien, singen, spielen, und erzählen im Off von sich, vom anderen, von ihre Freundschaft, und warum „behindert“ ihrer Ansicht nach, keine gültige Beschreibung ihres Seins ist.

Für das Mittagsprogramm ist es schon schwierig einen Platz zu finden, und dass fast gleichzeitig zwei weitere Filme in den Sälen nebenan anfangen, macht das Gewusel komplett. Eine kleine Bulldogge und drei durchgeknallte Kleindealer, die durch neuen Vertriebswegen mit weniger Risiko mehr Geld machen wollen. “Tomatic“ von Christophe M. Saber ist genauso schräg wie die Geschäftsmodelle, die den Dreien vorschweben. Haschisch in Schokoautomaten, Ecstasy in Kondommaschinen, und die Dealer verkaufen „nur“ das dafür benötigte Münzgeld gegen grosse Scheine. Selbstverständlich funktionieren die Pläne nicht, aber das Scheitern ist sensationell.

Nicole Foelster interviewt in „Eigentlich vergangen“ von 1997 bis 2017 ihre Grossmutter, die nach dem Krieg, als sogenannte Spätaussiedler, aus dem Osten geflüchtet ist. Eine nette alte Dame, ein wenig eigensinnig, Schicht für Schicht entpackt sich dennoch ihre Geschichte, und die hat durchaus Schattenseiten. Die Bildauswahl, aus qualitativ sehr verschiedenem Material, mit Brüchen und Fehlbildern, ergibt auch künstlerisch eine spannende Spurensuche.

Lamaland (Teil1)“ von Pablo Sigg, eine Allegorie auf das Vergehen, Zeit die fliesst indem sie stillsteht. Zwei uralte, schmutzstarrende Zwillingsbrüder, im paraguayischen Dschungel, die Reste dessen was von Nietzsches Schwester und ihrer Idee von einer Arischen Kolonie übriggeblieben ist. Leben und Tod scheinen dort einfach zwei Daseinsformen zu sein, gleichwertig, gleich wahrscheinlich,gleichgültig. Wie in Zeitlupe schleichen sie durch ihre Tage, während drumherum das Grün und der Schmutz wuchern.

Me dasht‘ Me dasht‘ Me dasht’“ von Ilir Hasanaj, was so viel wie: „wollen, brauchen, lieben“ heisst, bezeichnet recht umfassend das Projekt einer gemischt Kosovarisch- Schweizerischen Künstler Gruppe, die eine Performance zum Thema „was glaubt ihr“ plant. Eine Entdeckungsreise von Zürich nach Prishtina und über Belgrad zurück nach Zürich, bei der die sehr jungen Künstler nicht nur ihren Ausdruck finden müssen, sonder sich auch mit sich und ihren Lieben konfrontiert sehen. Und dann ist da noch der Bruder des Regisseurs, der weder mit Kunst noch mit sich etwas zu tun haben will, aber dennoch die Reise mitmacht, und gegen seine eigenen Dämonen zu kämpfen hat. Ein dokumentarisches, interkulturelles Roadmovie, eine Spurensuche zu möglichen Wurzeln und Kunst im Wandel.

Der soweit persönlichste Film ist “Immer und Ewig“ von Fanny Bräuning. Schon früh erkrankte ihre Mutter an MS, mittlerweile ist sie seit vielen Jahren komplett auf Hilfe angewiesen und vom Hals abwärts gelähmt. Für den Film begibt sich die Regisseurin mit ihren Eltern auf eine Reise im behindertengerechten Campingbus durch Griechenland. Für den Vater kam und kommt es nicht in Frage, seine Frau in ein Heim abzuschieben, wie er das nennt, und so kümmert er sich, auf eine ganz eigene, manchmal fast freche Art um sie. Der Film schafft es, eine Ehe, eine Liebe und ein Familienleben in aller Normalität zu zeigen, auch wenn sich einige Gespräche auch darum drehen, wie es alles anders hätte sein können, oder sein könnte. Kein Film, der Mitleid heischt, sondern der zeigt wie diese Familie in genau dieser Situation funktioniert und sich entwickelt, mit Aufs und Abs. Das restlos ausverkaufte Kino gab minutenlangen Beifall.

dsc_1398

 

Festivalwermutstropfen: nach 22:30 werden die Bürgersteige in Solothurn hochgeklappt, die Bars der Kinos habe während der Abendvorstellung dicht gemacht, die Restaurants schmeissen die letzten Gäste raus, und nur einige Bars, in denen es entsprechend voll und laut ist, bieten noch Zuflucht.

 

 

 

 

 

Dimensionen

Auch der Sonntagmorgen bietet eher den Anblick einer verschlafenen Kleinstadt, denn eines vor Filmschaffenden brummenden Treffpunkts; die Kinos sind allerdings gut besucht.

dsc_1388

(c) ch.dériaz

 

Sinn und Unsinn von 3D Kino zu diskutieren ist vermutlich müssig, der 3D Film „Womb“ des Choreographen Gilles Jobin, ist eher ein Beispiel gegen den Gebrauch von 3D. Der experimentelle Tanzfilm, will mehr als er bietet, zwingt er doch dem Zuschauer die Perspektive aus den Sitzreihen auf, bleibt also im Theater, auch wenn immer mal wieder Füsse der Tänzer ins Publikum ragen. Da wo ein „2D“ Film durch Perspektiven und Winkel dem Zuschauerhirn das Material gibt, den Raum in seiner Ausdehnung zu sehen und damit seine Dreidimensionalität zu kreieren, beschneidet Jobin den Zuschauer, trotz 3D Technik. Der zweite Film im Programm „Project Memory Scan“ von Hans Peter Scheier ist ein grosses Vergnügen. Der Film setzt sich zusammen aus eigenen alten (und nie benutzten) Filmszenen, Photos, Schnipseln und Computereffekten, umrahmt und zusammengehalten von einer Handlung, die den Film als Science Fiction Dystopie zum Thema „Big Brother“ gestaltet. Ein Horrorszenario entwickelt sich, in dem per Injektion von Nanopartikeln und eines Serums Erinnerungen ausgelesen werden können, das ganze als Werbeclip für die Finanzierung des Projekts gestaltet. Grausam und lustig, beängstigend und nachdenklich stimmend.

Ein weiterer Film aus der Rubrik „alte Freunde“ oder „was wurde aus..?“ ist „La preuve scientifique de l’existence de Dieu“ von Frédéric Baillif. Eine Gruppe Rentner, alles ehemalige 68ger Aktivisten, findet sich erneut zusammen, um für eine Volksinitiative für ein Verbot des Waffenexports zu agieren. Obwohl ein Spielfilm, spielen echte 68er Aktivisten, ihre private Erfahrung als Basis für die neue Fiktion. Dem Regisseur gelingt es die Laiendarsteller glaubhaft in seiner Geschichte agieren zu lassen, und dabei trotzdem Anleihen in ihrer Biographie, auch in Form alter Filmaufnahmen der Gruppe, zu nehmen. In der Erzählebene mischen sich das aktuelle, 16:9 Drehformat, mit dem 4:3 Drehmaterial das von den Rentnern in der Geschichte gedreht wird, um mit einem Film für ihre Sache zu kämpfen. Zwei Realitäten ergeben ein Ganzes, das sehr frech und lustig geworden ist, ohne den Grundgedanken des Kampf gegen Waffenexporte aus den Augen zu verlieren. Immer wieder gab es schallendes Gelächter während des Films und ein Applausfeuerwerk am Ende.

dsc_1400

(c) ch.dériaz

Nach dem leibhaftigen Gott, schlecht gelaunt und wohnhaft in Brüssel, nun ein depressiver Gott mit dickem Bauch, wohnhaft auf Fehmarn. In Kerstin Polte „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden“, frisch mit dem Bayerischen Filmpreis für die beste Nachwuchsregie ausgezeichnet, verwirrt und entwirrt der griesgrämige „Kerl“ die Geschicke einer Familie, in der nichts wirklich gut läuft. Es gibt die (alt)kluge 11jährige, ihre alleinerziehende Mutter, die ihren Platz in der Welt immer noch sucht, den pingeligen, langweiligen Grossvater und die Grossmutter, die frisch von ihrer Alzheimer Erkrankung erfahren hat; die einen laufen davon, die anderen hinterher, und alle enden in Gottes heruntergekommener Pension auf der Insel. Dank der frisch und spontan agierender Schauspieler kommt dabei ein fröhlicher Film, mit einer Prise Tragik, heraus.

Ein eher freudloser Film ist „Zone Rouge“ von Cihan Inan. Und schon wieder treffen ehemalige Schulfreunde aufeinander; die Nacht nach ihrem 25jährigen Abiturtreffen verbringen sie im Haus einer Mitschülerin. Es wird lange 90 Minuten viel geredet, aber wenig gesagt, die Beziehungen innerhalb der Gruppe waren scheinbar schon in der Schule von Neid und Eifersucht geprägt, aber was wie wo genau, bleibt im Gerede versteckt, auch das böse Geheimnis, das sie teilen, bleibt so nebulös, wie das zweite, hinterher geworfene Geheimnis uninteressant ist. Der kalte Regen draussen hebt dann die Stimmung auch nicht mehr.