Verweile doch Augenblick…

(c) ch.dériaz
Gefangen in einer Zeitschleife ist die weibliche Figur in „Cronofobia“ von Francesco Rizzi. Ein mysteriöser Mann, den man zunächst für einen Stalker hält, eine nicht weniger mysteriöse Frau, die unterdrückte Wut und Nichtakzeptanz ausstrahlt, ihre Wege kreuzen sich nicht zufällig und der Grund für das Zusammentreffen ist auch nicht unschuldig, ganz im Gegenteil. Ein langsamer Film, in dem die Figuren sich in einem merkwürdigen Tanz aus schlechtem Gewissen und Ausnutzung bewegen, um dann ebenso langsam auseinander zu driften, der eine vielleicht befreit von seinem schlechten Gewissen, die andere möglicherweise befreit aus ihrer Zeitschleife. Eine Geschichte von Zeit und Identität und von Augenblicken, die nicht verweilen sollten.
Nach einem amoklaufenden Arbeiter, einem Schüler mit seltsamen telephonier Präferenzen, jetzt also Joel Basman als Motti Wolkenbruch in „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ von Michael Steiner. Motti aus einem traditionell jüdischen Elternhaus, der sich den Film lang müht seinen Weg im Leben zu finden. Er wandelt sich vom fleissigen Studenten, mit stereotypisch hängenden Schultern, zum T-Shirt tragenden Rebellen, der mit seiner nicht jüdischen Kommilitonin ins Bett geht, nachdem er in Israel von einer dunkelhaarigen Schönheit entjungfert wurde. Der Film, wenn gleich durchaus nett, bedient einfach alle Stereotypen, die man sich zu dem Thema ausdenken kann, und ist dennoch nur die Geschichte eines Erwachsenwerdens. Schade auch, dass die eigentlich gute Idee, den Protagonisten aus der Situation heraus sich direkt an Zuschauer zu wenden, nicht durchgehalten wird, damit wäre etwas mehr Selbstreflexion und auch Tempo in die Geschichte gekommen.

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Ganz zum Schluss dann der wirklich innovativste, radikalste und avantgardistischste Film des Festivals: „Das Höllentor von Zürich“ Cyrill Oberholzer. Der Film spielt mit Kameraeffekten, Fehlfarben, und Computerbildern, die Bildausschnitte, Perspektiven und Schnittfolgen sind von Danny Boyds „127hours“ 1:1übernommen, und auch die Situation des Feststeckens, allein und in aussichtsloser Lage entspricht dem Original. Bloss dass alles von Anfang an in rauschhaftem Wahnsinn daherkommt, und eine junge Frau mit einem Finger im Abfluss ihrer Badewanne stecken bleibt, statt in einer Felsspalte. Daraus wird eine Art Trip, der in seiner Bildstruktur und Bildgestaltung eine grandiose Übersetzung der psychedelischen Filme der 60ger und 70 Jahre ist, aber eben mit den visuellen Spielereien, die heute machbar und (aus)denkbar sind. Eine echte Entdeckung, ein gelungener, anstrengender Film auf den man sich einlassen muss. Der Film soll demnächst frei im Internet verfügbar sein.
Der Prix de Soleure ging an den schönen Film „Immer und ewig“ von Fanny Bräuning, der Publikumspreis an „Gateways to New York“ von Martin Witz, der Dokumentarfilm erzählt vom Schweizer Architekten Othmar H. Amman, der 1904 nach Amerika ausgewandert ist, und dort ein Revolutionär der Baukunst wurde.

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Insgesamt bot die diesjährige Ausgabe der Filmtage eine solide Auswahl, auch wenn wenig wirklich herausragend war. Es bleiben die Dokumentarfilme deutlich stärker als die Spielfilme und wie in allen eher kleinen Filmländern sind gerade im Spielbereich die Koproduktionen extrem wichtig. Das Festival sollte dringend an den Tonanlagen der diversen Spielstätten arbeiten, weil topfig-dünn klingender Ton, oder leichte Echos in Dialogpassagen sind nicht nur unangenehm, sie sind auch extrem unfair oder respektlos gegenüber der Arbeit, die in der Tonbearbeitung steckt.

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Die Festival Direktorin Seraina Rohrer war zufrieden mit den diesjährigen Zuschauerzahlen, die 55. Ausgabe findet vom 22. bis 29. Januar 2020 statt.