Diagonale-2019_2

 

Mehr Leerstellen

Warum Filme machen, wenn einem das Erzählen in Bildern nicht am Herzen liegt? Warum pausenlos reden, wenn man Bilder zur Verfügung hat, die etwas zu sagen haben?

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(c) ch.deriaz

Ein weiteres Kurzfilmprogramm, in dem Filme laufen, deren Bilder und Texte oder Ideen nicht miteinander in Einklang zu bringen sind, das ist ermüdend. Was entsteht ist „Schwafelkino“. Jemand redet, beliebige, nicht mal gut gemachte Bilder laufen währenddessen über die Leinwand, so wie in „Mária Vörösben(Mary in Red)“ von Eszter Katalin. Ein Ort in Ungarn, ein Kloster, das lange, als von Nonnen geführtes, Frauengefängnis fungiert hat, heute ist es ein staatliche Männergefängnis, in dem der Stacheldraht, mit dem sich Europa abschottet, von Häftlingen hergestellt wird. Das ist an sich ja nicht unspannend, aber der durchgehende Off und On Kommentar, verbindet sich weder mit der Geschichte des Ortes, noch mit den uninspirierten Bildern. Da werden 30 Minuten sehr lang. „Das Bild Das Nichts Anzubieten Hat“ von Bruno Siegrist trägt seine Problematik schon im Titel, und doch ist alles noch viel schlimmer. Eine lange Fahrt am Gebäudekomplex des BND vorbei, im Vordergrund , unscharf der Zaun, es entstehen dadurch interessante Verformungen, dieses Bild hätte in der Tat etwas zu bieten. So weit, so gut, danach dann eine viertel Stunde lang analoger Weissfilm mit Schrammen und Flecken, immer das selbe Stück hintereinander, und dazu wieder Schwafelfilm. Betrachtungen zu Bildästhetik, zum Unterschied von Digital-zu Analogbild, aber auch zum Ort, an dem jetzt die BND Zentrale steht, beliebig, informativ wie ein Wikipediaeintrag. Und dann, die selbe Fahrt wie zu Anfang, bloss rückwärts abgespielt, die Verformung dadurch modifiziert, spannend, ansprechend oder intellektuell fordernd ist nichts davon. Zum Glück endet das Programm mit:„Remapping the origins“ von Johannes Gierlinger, der in interessanter, komplexer Weise vom polnischen Bialystok erzählt. Dem Ort, an dem das Esperanto erfunden wurde, wo Dziga Vertov geboren wurde, einem Ort, der früher, sehr viel früher, für Vielfalt der Kultur und des Lebens stand. Auch hier Off-Kommentar, Gedanken, aber sie bauen ein Spannungsfeld mit den gedrehten Bildern, lassen Leerstellen, in denen die Reflexionen sich setzen können, nehmen wider Fahrt auf, verbinden, vernetzen, kreieren Neues, sind filmisch, erzählen ohne zu belehren, und doch lernt man.

Die Rubrik Projizierte Weiblichkeit zeigt unter dem Titel „Es hat mich sehr gefreut“ Kurzfilme der Österreichischen Feministischen Avantgarde, Matuschka, Christanell, Lassnig, um nur einige zu nennen. Ein prallvolles Programm, mit verstörenden, lustigen, intelligenten Filmen, phantasievoll und originell, handwerklich ansprechend und manchmal sogar sexy.

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Und dann geht der Festivaltag tatsächlich sehr schön weiter.

Auf Nikolaus Geyrhalter ist Verlass, wenn man eindrucksvolle Dokumentarfilme sehen will. Sein neuer Film „Erde“,der in Berlin Weltpremiere feierte, ist da keine Ausnahme. Wie riesige Wunden muten die Betriebsspuren verschiedener Grossbaustellen, Marmorsteinbrüche, Braunekohle-oder Kupferminen an. Bagger, laut und dinosauriergross bewegen sich fast wie Spielzeug, während ameisenhafte Männer Sprengladungen anbringen, und der Erde weitere Wunden und Narben zufügen, Berge abtragen oder aushöhlen. Alles in schönster Ruhe und mit interessanten Bildern gedreht, so dass der Blick schweifen und verweilen kann. Ein Film, der nachdenklich macht, nicht zuletzt auch, weil die meisten Arbeiter der diversen Baustellen, bei aller Begeisterung für ihre, gut bezahlte, Arbeit, auch durchaus kritisch den damit verbundenen Raubbau sehen.

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(c) ch.dériaz

Der zur Zeit spannendste österreichische Spielfilmregisseur ist wohl Peter Brunner. Sein jetzt dritter Langfilm „To the night“ ist ein wirklich gewaltiges Kinoereignis. Beeindruckt durch seine Bildsprache, in der Details und Nahaufnahmen für ungewöhnliche (Ein)blicke sorgen, der Erzählfluss hat etwas Mäanderndes, und stellt so auch schon mal die Kontinuität der Zeit in Frage, um gleich darauf die Frage nach Zeitlichkeit als irrelevant zu entlarven. Faszinierende Geschichten entstehen so, originell, eigenwillig, fordernd, auch wenn die Komponenten aus denen die Handlung besteht bekannt sind. Eine Liebesgeschichte, vor einem Hintergrund aus roher Gewalt, Trauma, Obsession und Drogen, ein Hauptdarsteller der blitzschnell von unendliche zart zu rasend wechselt, ein Leben ganz am Rand eines unausweichlichen Abgrunds, zerrissen, und wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt.

Atemlos machen solche Filme, versöhnen mit dem oft gleichen Einerlei, und lassen hoffen, dass noch mehr solcher aussergewöhnliche Filme im Programm stecken.

Ein Gedanke zu „Diagonale-2019_2

  1. „Der zur Zeit spannendste österreichische Spielfilmregisseur ist wohl Peter Brunner. “ – mit einem rückwärts gewandten Frauenbild, wo Frauen, Mütter, mit Kleinkind geschlagen, missbraucht, betrogen werden, und sich trotzdem immer tapfer zur stummer Ergebenheit verdammen, dem leidenden Künstler zum Trost

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