Unscharfe Grenzen

(c) ch.dériaz
Langsam macht sich dann doch ein filminduzierter Tunnelblick breit, der Fokus ist starr auf die kommende Vorstellung gerichtet, der Rest der Welt verschwimmt in nebensächlicher Unschärfe.
Über die Sinnhaftigkeit, Filme in Kategorien einzuteilen, nachzudenken, bietet sich nicht nur wegen der Überlappungen oder Unschärfen in den Kurzfilmprogrammen an. Sondern auch der neue Film von Sebastian Brameshuber „Bewegungen eines nahen Berges“, der seine Uraufführung als Dokumentarfilm hatte, und in Graz als Spielfilm läuft. Die Gruppen zu mischen, würde eventuell einen grössere Freiheit der Form(en) erlauben, und eine Festlegung der Genres im Vorfeld unnötig machen.
„Bewegungen eines nahen Berges“ ist formal, wenn man so will, und inhaltlich sicher, ein Dokumentarfilm, beobachtend, dokumentierend im besten Sinn des Wortes. Ein Nigerianer, der mit Schrottautos handelt, sie zerlegt, wiederverwertet, sie als Kleinteile oder als Ganzes wieder verkauft. Ein einsame Tätigkeit ist das, ein Mann, Werkzeug, Autos, Staub, tagein, tagaus, nur manchmal bricht das dokumentarische, ein zweiter Nigerianer scheint mit in der Werkstatt zu arbeiten, die Stimmung wird surreal. Diese kleinen Momente der Inszenierung, sind es wohl, die die Positionierung als Spielfilm bewirkt haben. Ob man diesem schönen, ruhigen Film damit wirklich einen Gefallen tut ist fraglich.
Ein weiteres Kurzfilmprogramm, diesmal unter der Rubrik Innovativ, auch hier gibt es Unschärfen. Lydia Nsiah dreht für „to forget“ Urlaubsimpressionen auf überlagertem Filmmaterial, der Effekt ist Konservieren der Flüchtigkeit, die Idee, Bilder auf Reisen zu sammeln, um sie zu bewahren, verkehrt sich in den Beleg für deren Vergänglichkeit. Das sieht spannend aus, ist mit einer immer intensiver werdenden Tonkollage unterlegt, und regt zum Nachdenken an. Auch „animistica“ von Nikki Schuster hat bei aller Abstraktion auch sehr viel Dokumentarisches. Der Film streift 7 Minuten lang in Makroaufnahmen, Überblendungen und Animationen über wachsende Pilzsporen, Tierkadaver, verrottende Blätter, unterlegt mit schmatzenden, mampfenden Tönen. Schräg und auch interessant. „Antarctic Traces“ von Michaela Grill. Sie filmt in der Antarktis, Meer, Pinguine, Seeelefanten, man könnte das alles idyllisch finden, würden nicht darüber Erlebnisberichte verschiedener Zeugen der Ausbeutung der Gegend seit dem Ende des 18.Jahrhunderts liegen. Gruselig hört sich das an, und immer gruseliger werden auch die Bilder, die die verrosteten Reste dieser Industrie zeigen. Der Kontrast von Texten zu Bildern ist brutal und eindringlich. Schade nur, dass oft die Bilder aussehen, als wären sie in 30f/sec gedreht und in 25f/sec bearbeitet und vorgeführt.

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Der Dokumentarfilm „You only die twice“ von Yair Lev bietet in der Basis eine spannende Identitätssuche, ist aber sehr konventionell und uninspiriert gemacht. Der israelische Filmemacher macht sich auf die Suche nach einem Mann, der unter dem Namen seines Grossvaters gelebt hat. Die Suche führt von Israel, nach Österreich, mit einem Abstecher nach Kroatien, in Archive und Meldestellen, und immer schwebt die Sorge, der „Dieb“ könnte womöglich ein Nazi gewesen sein, der sich die jüdische Identität nach dem Krieg zugelegt hat. Am Schluss war alles viel komplexer, die Identität verhalf dem polnisch-jüdischen Schulfreund des Grossvater, der schon vor dem Krieg auswanderte, die Nazizeit , wenn auch versteckt, zu überstehen. Die Realität ist wunderbar schräg und verrückt, der Film sieht aber aus wie eine sehr x-beliebige Fernsehreportage, mit eher matschigen Bildern, uninteressanten Bildausschnitten und viel zu viel beliebiger Musik.
Im Laufschritt quer durch Graz zur Österreich Premiere von „Kaviar“ von Elena Tikhonova. Der Film ist leidlich komisch dafür ziemlich albern. Ein stereotypisch dümmlicher Wiener will ebenso stereotypisch saufenden russischen Oligarch in Wien übers Ohr hauen. Dafür braucht er Hilfe von dümmlichem Freund (Anwalt) und korruptem Jagdpartner (Politiker). Gewürzt mit viel Bling-Bling, eifersüchtiger Ehefrau (des Möchtegern Betrügers) und schon rennen diverse Gruppen hinter den Oligarchen-Millionen her und versuchen sich gegenseitig zu betrügen. Um wirklich lustig zu sein, ist der Film zu langsam und die Witzchen zu dünn und vorhersehbar. Gut, im Publikum wurde immer wieder quietschend gelacht, der Film kommt im Juni in die Kinos, es sei den Machern gegönnt.
Nachdem die warme Nachmittagssonne abendlicher Kälte gewichen ist, gibt es dann noch ein letztes Kurzdokumentarfilmprogramm, diesmal mit thematischem Schwerpunkt, Musik.

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Frech, grossartig und witzig: „ Notes on Noise 01 Hoffmann’s Hymn“ von Norbert Pfaffenbichler, neben-und übereinander und zeitlich versetzt formt ein Gebilde aus Latex, das wohl ein Mund mit Rachen darstellt, einzelne Töne. Zusammengenommen ergibt das eine eigentümliche Klangkomposition und optisch ein Vexierbild. „In trout we dust“ von Dieter Kovačič ist enttäuschend. Das Portrait zweier Experimentalmusiker ist schlecht gedreht, auch hier scheint mit der falschen Bilderzahl gearbeitet zu werden, unrhythmisch geschnitten, der Ton bei den Interviews zu laut, und unsauber abgeschnitten; eher ein Rohschnitt, denn ein fertiger Film, und mit 34 Minuten dafür auch zu lang. Ganz im Gegensatz, der Musikclip „Electro Guzzi – MINEY MICK“ von Lisa Kortschak und Gregor Mahnert, sehr schön gedreht, und mit wenigen einfachen Mitteln entsteht ein rhythmisch extrem komplexes Kunstwerk. Am Ende des Programms, 54 Minuten reinste Freude. „Under the Underground“ von Angela Christlieb führt filmisch durch ein Chaos an Elektroschrott, Maschinen, technischem Gerät, mal funktionierend , mal eher dekorativ. Die Kellerräume sind Proberaum, Tonstudio, Bastlerwerkstatt und Wohnraum von Janka Industries. Underground im doppelten Wortsinn, das messihafte Durcheinander findet ganz natürlich seine Entsprechung im Bildfluss, bleibt dabei aber doch sehr genau strukturiert, wie vermutlich das Chaos im Keller, für seine Bewohner strukturiert ist. Ein Gesamtkunstwerk, aus Inhalt und Form. Für solche Filme lohnt es sich, um 23 Uhr nochmal ins Kino zu gehen, auch wenn Augen und Sitzfleisch laut protestieren.
Vielleicht sollte ein Kollege die Beiträge von Frau Dériaz korrekturlesen, sie sind wirklich schwer zu verstehen weil sie von Fall-, Tipp- und Schlampigkeitsfehlern strotzen – das haben sich die gelobten wie die verrissenen Filme schon verdient, dass die Kritik ordentlich arbeitet.
Ich entschuldige mich für alle Tipp-und Schlampigkeitsfehler!
Die Entschuldigung ist originell, die Fehler auszubessern wäre im Zeitalter der online-Editoren allerdings naheliegender.
Die Fehler wurden ausgebessert. Nochmals Danke für Ihren Hinweis.