Ghosts in the Shell: America unplugged, Oliver Stones Heldenlied für den berühmtesten Whistleblower der Welt und Ewan McGregors Abgesang – San Sebastian-Tagebuch_2016_08
„This is not about terrorism. Terrorism is the excuse. It is about economic and social control, and supremacy of our government.“
(aus: „Snowden“ von Oliver Stone)
Der erste Impuls nach diesem Film ist zuerst mal, die Kameras meines Ultrabooks zuzukleben. Ein einfaches Heftpflaster genügt. Ich bin zwar gerade nicht online, aber bin ich es wirklich nicht?
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Paranoia hat immer eine Rolle gespielt im Werk von Oliver Stone, aber das macht seine Filme besser, nicht schlechter; es macht sie intensiver, subjektiver, parteiischer. Bei Stone gilt die Weisheit des bekannten Witzes: Die Tatsache, das einer paranoid ist, bedeutet noch lange nicht, dass er nicht verfolgt wird.
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Heute mal um 9 Uhr im Kino, es ist noch dunkel beim Aufstehen. Die Fahrradfahrt an der Concha entlang bis zum Kino dauert etwa zehn Minuten, wenn ich mich nicht beeile, auch 15. Ein seltener meditativer Moment in diesem Festival. Manchmal denke ich da an das was ich vorhabe, was ich sehen will, wen ich anrufen muss. Aber oft schaue ich mir die anderen Radfahrer an, die Passanten, das Meer.
Der Anlass, ausnahmsweise früh aufzustehen ist, dass ich Olver Stones „Snowden“ in der ersten Pressevorführung sehen will. Stone ist hier vor Ort, und später würde es eine Pressekonferenz geben (über die ich schon geschrieben habe).
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Ein Insert behauptet: „The following is a dramatization of events … that occured between 2004 und 2013“. Zwei Menschen in Hongkong, vor einem Hotel. Der „Rubiks Cube“ in der rechten Hand ist das Erkennungszeichen. Auf dem immer landet als erstes das Handy in der Mikrowelle. Dann beginnt Edward Snowden zu erzählen. In Rückblicken präsentiert der Film ihn als guten Amerikaner, „born on the 4th of July“. Soldat in irgendeiner Einheit, typische Stone-Momente einer Scheißarmee-Verklärung: blödsinniger Drill, durch Anschreien zum Mann werden: „Where is your fucking heart?“ – „Sir, right here Sir?“
Dann ein schwerer Beinbruch, der für Smowden zum Glücksfall wurde. „There are other ways to serve your country.“
Beim CIA-Eignungs-Test nach seinen Vorbildern neben seinen Eltern gefragt, antwortet der Film-Snowden: „Joseph Campell, ‚Star Wars‘, Thoreau, Ayn Rand“. Oh jemineh.
Kurz darauf ist er aufgenommen, tauscht sich mit einem abgeschobenem Genie über alte Codierungstechniken aus: „SIGABA“, „CRAY 1„, auch sonst entpuppt er sich früh als Genie, gerade weil er unabhängig denkt.
Kleine Dialogsätze wie „Questioning my government is democratic“ oder „You dont have to agree with your government to be a patriot.“ sind Botschaften ans US-Publikum und legen zugleich den Keim fürs Folgende. Wir erfahren, ohne dass wir davon im Einzelnen eine wirklich genaue Vorstellung hätten, von FISA (foreign intelligence surveillance act), xkey score, epic shelter, der üblen Rolle der Firma Verizon, von SIGNET und Prism.
Wir erfahren, dass in den USA doppelt soviel emails überwacht werden, wie in Russland. Und was die amerikanischen Geheimdienste sonst so tun, und tun können – nicht wirklich überraschend, aber schön formuliert: „Of course we tapped the entire country. The idea was, that if Japan was no longer an alley – lights out. Same for Mexiko, Germany, Austria.“
Wir erfahren nichts Neues, aber visualisiert entfaltet es neue Kraft. Es wird eindeutiger: Sie können durch unsere Computer und unsere Smartphones in unser Leben gucken, uns kontrollieren.
Snowdens CIA-Vorgesetzte träumen vom Cyberwar – „terrorism is a short term threat.“ – und sagen ihren Untergebenen: „If there was no WWIII in the last 70 Years – why? Because we use our power generally in a good way. Most americans don’t want freedom. They want security. It’s a safe bargain. If there is another 9/11 it will be your fault.“
Seine Freundin, die er Online kennengelernt hat, gerade noch eine kleine unangepasste linke Studentin, macht nun auf Dame und trägt ein kleines Schwarzes und Haare hinten geknotet
Am Ende bedient dieser Film ein sehr altmodisches, und konservatives, vielleicht aber (einstweilen) doch nicht komplett falsches Frauenbild, nach dem Frauen mehrheitlich die geschickteren, geschmeidigeren, aber mit weitaus weniger Ehrgeiz ausgestatteten Menschenwesen sind, die mehr Ruhe wollen und weniger Stress. Im alltäglichen Gender-Trouble einer Partnerschaft ist es auch für Snowden immer das Gleiche: Er kommt nach Haus, und die Frau jammert, dass der Typ zuviel arbeitet, und ja eh nie Zeit hat.
Das hat sich dann ja geändert. Jetzt ist Snowden ein Held, der eher nie in die USA zurückkehrt, selbst wenn er begnadigt werden sollte – denn was heißt das schon wirklich in den USA? Wer könnte garantieren, dass er nicht doch in irgendeinem Loch verschwindet? Oder einen „Unfall“ hat? -, sondern wie ein 30 Jahre zu spät gekommener Veteran des Kalten Kriegs sein Gnadenbrot erhält. Ein lebendes Denkmal der Grenzen des Amerikanischen Traums. Er ist jetzt viel zu Hause, und seine Frau, die inzwischen auch in Moskau lebt, hat keinen Grund mehr zu klagen.
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„Snowden“ ist sattes Mainstream-Kino. Das erkennt man daran, dass er eine schwarze CIA-Agent, der im Film vorkommt, dann natürlich auch eine schwarze Freundin hat, so wie die Weißen eine weiße. Agentinnen hat die CIA offenbar sowieso nicht.
Man erkennt es auch daran, dass der Heldenstatus des Helden dadurch abgesichert werden muss, dass er nie als „intellektuell“, nie als Outsider, nie als irgendwie nicht „all american“ erscheinen darf. Er muss als Patriot und all-american beglaubigt werden, bevor er Held sein darf: Soldat, nur aus Verletzung ausgeschieden, und ein kleiner Spießer im Leben.
Ich habe den Film gern gesehen, er ist gut gemacht, und politisch ehrenwert. Engagiertes Hollywood. Aber es wird mir auf die Dauer nichts bleiben von diesem Film – kein hochästhetischer Exzess und Überschreitungslust wie in „Natural Born Killers“ oder „U-Turn“ oder „Any Given Sunday“, keine Gravitas, wie in „Nixon“, kein Sarkasmus wie in „Wall Street“ und auch keine Wut wie in „JFK“.
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Der echte Snowden kommt am Schluß zu Wort: „I lost that life. But I gained a new one. No need to worry about tomorrow.“
Es gelang ihm, zu bewirken, dass die bisherigen NSA-Programme gestoppt wurden, nicht aber Rechtgarantien fest zu verankern. Wir wissen, dass in den USA weder gewählte Volksvertreter noch die Medien wirklich die Macht haben, sondern Banken, Industrie und Militär. Wer weiß schon, welche Programme die inzwischen in die wege geleitet haben…
„He’s gonna die in Moscow“ sagt am Ende Ex-CIA-Direktor Michael Hayden.
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Am Abend des gleichen Tages saß ich auf der Terrasse meines Lieblingscafes, und konnte nicht anders als der überlauten Stimme jenes älteren Mannes am Nebentisch zuzuhören: Der war ein grauhaariger weißer Vollidiot, ein amerikanischer Wutbürger und ein weiteres Paradebeispiel jener rabiaten, unbekehrbaren Alten, die vor fünf Jahren noch grummelnd und still in ihren Ecken saßen, heute aber aus jeder Ecke der Welt große Worte schwingen: „Obama destroyed economic growth in the last three years … the states have become a place of crazy regulation.“ Der alte Ami saß neben einem Mann, den er offenbar nicht gut kannte, einem mindestens 30 Jahre jüngeren Europäer, der ihn offenbar nach den kommen Präsidentschaftswahlen gefragt hatte. Seine Antworten muss man unplugged wiedergeben, so wie ich sie spontan in einer Mischung aus Faszination und Ekel mitgeschrieben hatte: „Trump is an asshole. He is not a racist, just an impulsive arrogant asshole.
But Clinton is a liar. She will do nothing right. Look how Obama developed, he disapointed all. It is reality: If you are a pussycat, peope just eat your pussy and fuck you to death … no experience … reality is reality … the banks – if you fuck them like crazy. Bernie Sanders – his balls are bursting, but his brain…he nows as much of economy like a 20 year old, he is a stupid socialist who wants stupid labour regulations.
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„I love Portugiese 20th century poetry, but it does not help you beat the Chinese. We should have a strategy like the Germans, but today all our kids have to study lesbian poetry. They have no connection with the economy, they offer nothing to the economy, the professors have no idea what ecxonomy means, they are virgins, studying Baudelaire and all this shit. We basically became repeatedly destroyed by the Obama-administration, they attack the banks, especially they persecute the banks, i tell you, if the government is crazy: don’t take risks, don’t invest – this is exactely why the goldrate came down a third since 2008. Why is the interest rate zero – the government is so crazy, nobidy wants to take any risk.
We decided to globalize the economy. If government and business work together… thats why Clinton I was succesfull. 2008 was all about the collapse of housing. But regulation is crazy, it’s bringing demage to the US. If the US would grow, the rest of the world would grow. You cant fuck employers without fuckiung employees.
Now, whenever you do something, you have these lawyers around you, these guys are better educated than you and I, these guys went to the best schools.
Trump is crazy, he is not a Hitlers and all this crap, this redicoulus journalistic indulgence, but let there just be a little pressure on the islamic community to turn these idiots in. It is just a shame. Trump is so crazy that Hilary will win and then she will die in four years. Republicans are much more democratic as the democrats.“
Die hässliche, dumme, aber ehrliche Fratze Amerikas.
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Wie eine Ergänzung, eine Antwort und eine zugleich Relativierung zu Stones Film wirkte dann einer der späten Filme des Festivals: „American Pastorale„. Diese Verfilmung des Philip-Roth-Romans – „die schlimmste Roth-Verfilmung aller Zeiten, und das will was heißen“ nannte es ein Redakteur in Deutschland – ist formal bieder, aber fehlerfrei, komplett inhaltistisch motiviert. Sie stammt von Ewan McGregor, dem britischen Schauspieler („Trainspotting“, „Velvet Goldmine“, „Star Wars“), der mit inzwischen auch schon 45 Jahren zum ersten Mal Regie geführt hat. McGregor spielt auch die Hauptrolle in diesem traurigen Film, der getränkt ist in der Nostalgie für die verblassten Träume noch mehr als in der für die verblasste Jugend, die Farben der Erinnerung. Wieder ein Beispiel für den Historismus, der im Kino gerade grassiert, aber einmal mehr auch mit einem gewissen Sinn:
Die Geschichte kreist um eine fast idealtypische – allerdings jüdisch-katholische – Familie im Nordamerika der Fünfziger und Sechziger Jahre. Seymour Levov, ein Football-Held und Unternehmer, der mit einer Miss New Jersey verheiratet ist. „He was our hero, our Kennedy“ schwärmt der Ich-Erzähler. Sie sind liberal, offen gegenüber Schwarzen, und haben eine Tochter, die sie vergöttern. Diese Tochter, Merry, ist niedlich und hochintelligent. Sie hat nur einen Makel: Sie stottert.
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Kleine Ereignisse: Die Therapeutin weiß nicht recht ein Mittel, um die Tochter zu heilen. Im Fernsehen sieht Merry, wie sich ein Mönch in Vietnam selbst verbrennt. Unruhen, die von der Polizei unangemessen blutig niedergeschlagen werden. Und irgendwann, wie auf einer ganz sanft nach unten schiefen Ebene, entfremden sich Eltern und Tochter immer mehr, wird die stotternde Tochter auch ungerecht, kalt und böse den Eltern gegenüber. Sie radikalisiert sich, schließt sich einer Untergrundorganisation an, sprengt eine Tankstelle in die Luft, ist beteiligt an vier Tötungen. Es gab ja offenbar in den Sechziger, Siebziger Jahren solche Gruppen in den USA, die „den Krieg nach Hause“ brachten. Von 4330 Explosionen ist im Film die Rede, und man fragt sich wo die heute alle hin sind, wo es doch, möchte man meinen, nicht weniger Anlässe gäbe.
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Der Film sympathisiert mit dem Vater, seinem guten Willen und seiner Ohnmacht – gegenüber der Tochter, die unansprechbar wird, aber auch gegenüber dem Anti-Terror der Polizei. Wie die das Haus der Familie auseinandernehmen, ist Grund genug zum Widerstand.
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What a difference a day makes… Eine Entscheidung enthält ein ganzes Leben. Das zeigt dieser Film, dessen Thema der amerikanische Traum ist, und sein Verschwinden in einer Selbstzerstörung, die Anfang der Sechziger einsetzt, nicht erst mit 9/11.
Sein Thema ist der Hass und die Wut der 68er gegen ihre Eltern. Eine erstaunliche, heute kaum vorstellbare Härte, die eine ungerechte, überharte, ja faschistoide Komponente hat. Von deren Konsequenz und Mut aber heutige Generationen auch etwas lernen können (und sollten). Wollen Roth und McGregor dies verstehen? Sie sehen vor allem die Leiden der Elterngeneration.
McGregor aber fragt: Wo ist der Moment, in dem der Schalter umgelegt wird? Die Psychiaterin, die die Schuld am Stottern auf die Eltern schiebt? Der Mönch der sich verbrennt? Der Besuch bei den „falschen Freunden“ in New York? Gibt es diesen Moment überhaupt? Oder ist da eher eine schiefe Ebene?
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Der Film ist geschickt und klug darin, zu zeigen, was der Weg der Tochter in Untergrund und Terror mit Familien macht. Ein für mich erstaunlich guter, tiefer und ernster Film, gesättigt in Sentiment – nicht zu verwechseln mit Sentimentalität.
Der Erzähler fasst zusammen: „What Merry blew up that day was nothing less than his life. Just got them wrong. That’s how we know, we are alive: By beeing wrong.“
Rüdiger Suchsland