Seismograph des deutschen Films – Notizen vom Festival Max-Ophüls-Preis 2019, Folge 1; Montag, 14.01.2019
Von Rüdiger Suchsland
„Die Stadt, in der ich geboren bin, heißt Saarbrücken, liegt an der Saar und hat im Lauf der letzten Jahrhunderte mehrere Male die Nationalität gewechselt. Die Geschichte warf sie, ähnlich wie Elsass-Lothringen, alle paar Generationen zwischen Frankreich und Deutschland hin und her, woraus sich meine etwas leichtfertige Einstellung zu nationalen und politischen Problemen erklärt.“
Max Ophüls (1902-1959) am Anfang seiner Memoiren „Spiel im Dasein“
Es wurde auch höchste Zeit. In diesem Jahr, zum 40. Jubiläum des Festivals, probieren wir mal, auch aus Saarbrücken einen täglichen Festival-Blog zu schreiben. Risky Business, denn der wichtigeren Dinge, wie der Ablenkungen gibt es genug, und in diesem Jahr noch ein paar mehr. Wie gesagt: 40 Jahre wird das Festival Max-Ophühls-Preis.
Es liegt nicht unbedingt nahe, in jeder Hinsicht. Jetzt, wenn wir das schreiben, sitzen wir noch auf dem Weg zum Festival im Zug. Von Berlin dauert die Fahrt fast sieben Stunden, darum kommt er erst Viertel nach Sieben in Saarbrücken an. Weil die Eröffnung um 19.30 Uhr losgeht, wird es nachher ganz schön hektisch werden: Mit dem Taxi ins Hotel, Koffer ins Zimmer und dann wieder mit dem Taxi auf die andere Seite der Stadt, zum Saarbrücker Cinestar, wo die Eröffnung stattfindet.
Das Hotel ist das „Leidinger“ [http://www.leidinger-saarbruecken.de/] und nicht nur das erste Haus am Platz, was in Saarbrücken etwas weniger bedeutet, als in Paris oder Moskau, aber immerhin. Hier befindet sich auch seit Urzeiten und über alle Umbauten und Verschiebungen von Rezeption und Frühstückraum hinweg, das Festivalzentrum. Vor allem ist das „Leidinger“ auch insofern das eine von mehreren Herzkammern des Festivals, weil direkt nebenan das Saarbrücker „Filmhaus“ liegt, dessen Leiter Albrecht Stuby vor 40 Jahren das Filmfestival gründete; weil hier ein paar Empfänge stattfinden, und weil hier viele andere Gäste wohnen, die man dann im Hotel beim Kaffee interviewen kann.
Als ich vor zwei Jahren von der Eröffnung nach Hause kam, hielt direkt vor mir eine ziemlich dicke dunkle Limousine. Ich konnte erst nicht sehen, wer ausstieg, aber dann stand ich hinter ihnen an der Rezeption. Es waren der damalige Justizminister Heiko Maas und Nathalia Wörner. Das war überraschend und gar nicht unsympathisch weil man in Saarbrücken offenbar auch als Minister auf Leibwächter verzichten kann.
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Das „Festival Max-Ophüls-Preis“ ist nicht nur das allererste Filmfestival des Jahres, sondern es ist auch das wichtigste Treffen der Nachwuchsfilmemacher des deutschsprachigen Kinos, also aus Österreich, der Schweiz und der Bundesrepublik.
Gerade in den letzten Jahren, zuerst unter der Leitung einer Doppelspitze, seit 2017 dann geleitet von Svenja Böttger ist Saarbrücken trotz kleinerer provinzpolitischer Querelen ein immer stärkeres Festival geworden. Als Ort für Entdeckungen hat es die übrige Konkurrenz hinter sich gelassen. Ja, auch das Münchner Filmfest. Denn dort gibt es zwar eine „deutsche Reihe“. In der laufen, wenn es hoch kommt, auch mal so viele Filme wie in Saarbrücken – in diesem Jahr 16 Spielfilme. Aber in Saarbrücken gibt es auch noch einen eigenen Dokumentarfilmwettbewerb. 12 dokumentarische Werke konkurrieren hier um die hochdotierten Preise. Daneben gibt es außerdem Wettbewerbe für Kurzfilme und für „mittellange“ Filme (30 bis 60 Minuten). Dies ist bestimmt ein Format über dessen Sinn man streiten kann, weil diese Filme fast nirgendwo gezeigt werden können, außer hier. Aber man muss eben auch sagen: In den letzten paar Jahren habe ich die eindrucksvollsten Filme in der Regel in dieser Sektion gesehen.
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Das Gute an diesem Festival ist gerade die unprätentiöse Atmosphäre – nein: kein roter Teppich – und die Tatsache, dass man sich hier auf Anfängerarbeiten konzentriert. Bei den kurzen und mittellangen Filmen hab ich schon öfters Filme von jemandem gesehen, der später sehr gute Langfilme gemacht hat.
Und daneben wird in der Fülle der vier Wettbewerbe, zu denen noch jene Filme kommen, die am Rande in Retrospektiven oder Nebenaufführungen laufen, und der Debatten-Panels am Vormittag, die augenblickliche Stimmungs- und Interessenslage ganz gut erkennbar, so etwas wie Zeitgeist.
Was ist der Stand des deutschen Kinos, was sind erste Themen und Tendenzen, die das Filmjahr womöglich prägen werden? Um solche Fragen zu beantworten, dafür ist Saarbrücken seit jeher ein recht verlässlicher Seismograph.
So läuft in diesem Jahr unter anderem ein Zombiehorrorfilm und der Film einer Comic-Künstlerin. Eröffnet wird heute Abend mit einer Weltpremiere des Films „Das Ende der Wahrheit“. Regisseur Philipp Leinemann ist eine der interessantesten Genrefilmregisseure Deutschlands. Sein Polizeifilm „Wir waren Könige“ verschwand 2014 zwar schnell in der Versenkung, war aber trotzdem (deshalb?) einer der besten Genrefilme der letzten Zeit.
„Das Ende der Wahrheit“ ist ein Politthriller mit Ronald Zehrfeld in der Hauptrolle. Und es geht um den BND. Vielleicht ist Heiko Maas ja heute Abend auch wieder da.
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Die Preise sind aber auch recht hoch dotiert und viele, sodass man insgesamt wenn man Glück hat auf fast 50.000 Euro Preisgeld kommen kann.
Max-Ophüls-Preis heißt das Festival, weil vor 40 Jahren, 1979, bei der genaugenommen ersten, in der offiziellen Zählung 0ten Nummer des Festivals eine Retrospektive von Ophüls gezeígt wurde, der damals gerade 20 Jahre tot war, und eben aus Saarbrücken kommt.
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In einer Filmreihe zum Jubiläum unternimmt das Festival einen Parcours durch das deutschsprachige Kino der letzten 40 Jahre, und zeigt unter anderem Christian Petzolds heute fast vergessenen Debütfilm „Pilotinnen“; oder auch „Ex“ von Mark Schlichter, bei dem 1995 unter anderem Christiane Paul, Florian Lukas, Rolf Peter Kahl und Anna Thalbach zu sehen waren – ein wilder Berlin-Film, der die Hauptstadt so zeigt, wie sie heute nicht mehr existiert: Jung und wild, im Taumel des Rausches und außer Kontrolle; ein Leben auf der Überholspur.
Dazu läuft auch ein Klassiker aus der Zeit des Aufbruchs der Schwulenbewegung: „Westler“ aus dem Jahr 1985 stammt von Wieland Speck der über ein Vierteljahrhundert die Sektion Panorama der Berlinale leitete, und damals von einer Ost-West-Liebe vor dem Mauerfall erzählte.
Saarbrücken, soviel ist sicher, ist also auch in diesem Jahr ein Festival, das sich lohnt.