2. Tag: Die Schauspieler

I. Alain Resnais – VOUS N’AVEZ ENCORE RIEN VU

Es heißt anstehen im Foyer des Metrokinos, zwischen den verlockenden Angeboten von Kürbissuppe & Co. und der aufgeregten Schar, den neuesten, vielleicht letzten Film von Alain Resnais zu sehen. Ein Muss, der Kürbissuppe zu widerstehen (trotz der im Laufe des Tages fehlgeleiteten Ernährung). Ankunft im Kinosaal. Theaterhafte Holzvertäfelungen, das Gegenteil des „unsichtbaren Kinos“, das den Blick ganz auf die Leinwand konzentriert. Wir nehmen in den plüschigen roten Sitzen Platz. Die Leinwand geht auf, der Film fängt an. Fängt er an? Vous n’avez encore rien vu versammelt, wie als Echo von Godards gesprochenen Filmvorspann in LE MÉPRIS, verbal erst einmal via Telefon (und Kamera) alle Akteure des Films. „Hallo? Spreche ich mit Mathieu Amalric / Pierre Arditi / Sabine Azéma / Anny Duperey / Anne Consigny / Michel Piccoli / Lambert Wilson…?“ – „Ja, am Apparat.“ Sie werden einberufen als sie selbst, als Schauspieler, die als Akteure in „Eurydice“ des (fiktiven, aber an Anouilh/Resnais angelehnten) Antoine d’Anthac mitgewirkt haben. Hier sind wir bereits angekommen in der Binnenfiktion, die durch den extradiegetischen Umschwung, es mit den Schauspielern von Alain Resnais zu tun zu haben, in eine eigenartige Spannung gerät.

I. Seid ihr alle da?

D’Anthac – ohne das vertiefen zu wollen – hat sich bei einem Reinigungsmanöver mit seinem Jagdgewehr ins Jenseits befördert, dies ein lange geplanter Selbstmord. Jetzt sehen sich die von ihm posthum einberufenen Schauspieler eine Inszenierung seines Evergreens „Eurydice“ an, die er mit Jungdarstellern gemacht hat. Bald beginnen die Schauspieler der alten Garde, die Texte mitzusprechen, die Handlung vor der Leinwand zu beleben. Eurydike und Orpheus sind dabei doppelt als Paar vertreten: durch Azéma/Arditi und Consigny/Wilson. Hier beginnt das Spiel mit Wiederholung und Variation, das Spiel der Möglichkeiten und der verschiedenen Tonfälle. Azéma/Arditi verkörpern eine spielerische Leichtigkeit in der Tragik, Consigny/Wilson geben ihm Verruchtheit und Direktheit.

II. Wiederkehr des Anderen

Resnais lenkt hier das Augenmerk auf das Schauspiel an sich: Wie würde sich das Stück anfühlen bei anderer Interpretation, bei anderer Tonalität? Wie ist es, wenn Orpheus und Eurydike immer wieder dem Orkus der Illusion entrissen werden, wenn Szenen sich wiederholen und in anderen Schattierungen andere Sichtweisen auf die Handlung freilegen?
„Vous n’avez encore rien vu“: Ihr habt noch nichts gesehen, in dem Moment, wo ihr meint, etwas gesehen zu haben, gibt es immer noch die andere Möglichkeit. Resnais‘ „Alterswerk“ (Kollege Willmann) ist ein anstrengendes Unterfangen und doch Quintessenz dessen, was Resnais beim Kino immer auch fasziniert hat: Eine Möglichkeit, Variationen im Schnitt zusammenzudenken, während das Gefilmte die pure Präsenz der theaterhaften Performance und damit des einen, einzigen Augenblicks zeigt. Streckenweise anstrengend, aber erhellend. Und die Frage aufwerfend: Was gibt das Theater dem Kino, das Kino dem Theater? – Über allem schwebt die Frage nach der Wiederkehr und dem unwiederbringlichen Verlust, nach dem Moment im Fluss der Zeit, wenn sie vorüberschweift wie im Film. – Einen besseren Vorführort als das theatergleiche Metrokino hätte man sich für den Film nicht wünschen können.

II. Hong Sangsoo – DA-REUN NA-RA-E-SUH (IN ANOTHER COUNTRY)

Schnell ins Künstlerhaus. Hier läugt Hong Sangsoo mit Another Country, einem Film, der durch die Huppert dominiert sein wird. Das allein ist keine Überraschung, gilt Hong Sangsoo ja als der Vertreter des koreanischen Kinos, der dem französischen ganz nahe ist, der das parlando so gut beherrscht wie sonst nur Rohmer.

I. Die Huppert, rauchend

Eine Versuchsanordnung: Eine junge koreanische Frau ersinnt sich drei verschiedene Drehbücher für eine französische Schauspielerin, deren Handlung in genau dem langweiligen Küstenort spielt, in dem sie selbst feststeckt. Anne heißt ihre Figur, Huppert verkörpert sie. Wir sehen sie, wie sie mit giraffenähnlich gestreckten Hals durchs Bild stakst, mit einem lustigem Touristen-Englisch auf der Zunge und mit sichtlichem Spaß an der Hohlheit der Dialoge, wenn man als Besucher in einem fremden Land, in another country Begegnungen mit Menschen hat, die man nicht kennt.

II. Die Huppert, küssend

Die Begegnungen wiederholen sich im Laufe der drei Episoden des Films, gleiche oder ähnliche Dialoge kehren wieder und fördern einen riesengroßen Spaß am Spiel bei der Huppert zutage. Die Dialoge sind mehr als banal: es geht um geborgte Regenschirme, um nicht vollzogene Wegbeschreibungen und um dem Verstehens-Gap der englischen Sprache zwischen der Französin und den Koreanern. Wie Hong Sangsoo Spaß erzeugt, während Huppert mit Worten und Gesten und einem Dauerlächeln auf den Lippen versucht zu erklären, was ein „Lighthouse“ ist, ist allein schon den ganzen Film wert. Sie ist die Schauspielerin in dem Film, während die anderen die Konstanten bleiben; an ihr kann beobachtet werden, wie Interpretationen aufgrund der vorgegebenen Parameter sich ähneln und sich dann doch die Film-Tonalitäten umkehren können.

III. Der koreanische Life Guard

Dabei geht es IN ANOTHER COUNTRY immer auch um mehr als nur um das Gefühl des „Lost in translation“. Ein koreanischer Life Guard, der in jeder Episode immergleiche Kraulzüge im Meer schwimmt, ist Epizentrum des Films. Er verführt (die dreifache) Anne zu einem Stelldichein in seinem Zelt, verkörpert das Junge und Ungestüme als Sehnsuchtshorizont und zugleich das Wesentliche von Hang Sangsoos Kino. Dialoge werden in Alkohol ertränkt, Unverständnisse werden weggelächelt, und bei allem geht es immer auch um das Physische des Zwischenmenschlichen, was da meint, das Emotionale: Just give me a kiss.

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